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Das Privatparadies. Bis zu 14.000 Euro Abstand kann eine Gartenparzelle kosten, wenn man sie von einem ausscheidenden Vereinsmitglied übernimmt. Es gib viel mehr Bewerber als Angebote.
© Kitty Kleist-Heinrich

Wohnungsnot in Berlin: Schrebergärten: Was wird aus den grünen Paradiesen?

Sie entstanden als Provisorien auf Bauerwartungsland und wurden für die Berliner zur zweiten Heimat. Jetzt sind viele Kolonien bedroht. Blendle-Tipp

Die Oma konnte nicht stillsitzen, erinnert sich Wolfgang Mahnke. Zwar habe sie immer behauptet, „jetzt setze ich mich mal in den Garten“, dann sprang sie wieder auf, zupfte hier, harkte dort, wo sich im Sommer die Familie traf. Nun sitzt er unter den Weinblättern, die sich die Pergola entlangranken. Sein Werk. Aus den Trauben hat er 34 Gläser Gelee gekocht. Inzwischen ist er der Großvater, kommen seine Enkel zum Spielen, bis sie vielleicht eines Tages die Parzelle übernehmen. Aber wer weiß das schon?

Auch die 70.000 Unterschriften konnten nicht verhindern, dass rund ein Drittel der Kolonie eingestampft wurde. Dass den Oeynhausern mit dem Vereinshaus ihre Mitte abhanden kam, ihr Mittelpunkt. Das Vereinshaus war mit der Gaststätte der Platz, wo alle zusammenkommen konnten. Wo sie ihre Feste feierten, wo der Vorstand tagte, wo sie sich berieten, wie man sich gegen die Bedrohung wehren könne.

Ein weiteres Drittel, jetzt vielmehr die Hälfte, ist immer noch in Gefahr. Ob der gegenwärtig ausgehandelte Kompromiss verbindlich ist, entscheidet sich in einem Jahr.

Dabei bestand die Kolonie doch schon so lange. Gegründet wurde sie 1904, die Mehrheit des Geländes erwarb die Reichspost für irgendeinen Zweck, der sich nie einstellte. Eine Investition in die Zukunft gewissermaßen. Ähnlich hielten es andernorts die Kirche, die Bahn, auch die Stadt. Bauerwartungsland nannte man solche Flächen. So lange nichts zu erwarten war, überließ man sie den Kleingärtnern.

Ob Traditionen noch zu Recht bestehen?

Es gab diese Grundstücke überall in der Stadt, im Westen und im Osten, an den Rändern und in der Mitte. Das ist das Besondere an Berlin: Andere Städte haben auch Gemeinschaftsgärten, aber sie wurden an die Ränder verbannt.

Und nirgends sind es so viele wie hier. Mehr als 70.000 Parzellen werden in der Stadt bewirtschaftet, rund doppelt so viele wie in Leipzig und Hamburg, die auf den Plätzen zwei und drei folgen. Kleingärten sind so berlinisch wie Currywurst, soll Eberhard Diepgen einmal gesagt haben. Die Kleingärten machen gut 3200 Hektar, rund zehn Prozent des Stadtgrüns aus. Sie nehmen damit dreimal so viel Fläche ein wie alle Berliner Sportstätten, Stadien, Bolzplätze und Pferderennbahnen zusammen. Oder auch: Dreimal so viel wie sämtliche Friedhöfe zusammengerechnet. Und deshalb darf man mit einigem Recht behaupten: Berlin ist die Welthauptstadt der Kleingärtner.

Die Öde, kaum 20 Meter von Mahnkes Gartentor entfernt, ist ein Zeichen des Fortschritts. Stumm steht ein gelber Bagger auf dem weiten Feld. Wenn alles kommt wie es soll, dann wird er loslegen, wird Gruben ausheben für die Fundamente der Häuser, die hier 700 Wohnungen aufnehmen sollen. Noch ist nicht sicher, ob die Bagger wirklich vor Mahnkes Parzelle haltmachen werden. Denn es geht um die Zukunft der Stadt. Eine Stadt, die wächst, um 40.000 Neubürger im Jahr. Menschen, die untergebracht werden müssen, deren Kinder Schulen brauchen, die irgendwie zur Arbeit fahren müssen, Platz benötigen.

Es geht aber auch darum, wie diese Stadt aussehen wird – und ob man in ihr leben mag. Ob Traditionen noch zu Recht bestehen. Und um Geld geht es auch, um sehr viel sogar.

Leider auch bei uns, wenn auch nur um wenig Geld. Wie es weitergeht, erfahren Sie für 45 Cent im Online-Kiosk Blendle.

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