Angriff aus den Wolken: Schon im Kalten Krieg wurden Zivilmaschinen angegriffen
Der wahrscheinliche Abschuss von MH 17 über der Ukraine weckt Erinnerungen an ähnliche Vorfälle aus den fünfziger und sechziger Jahren. Mehrfach wurden damals Zivilmaschinen auf dem Flug nach West-Berlin attackiert – etwa 1952 ein Flugzeug der Air France.
Roger Truffe, Steward auf dem Air-France-Flug von Frankfurt am Main nach Berlin-Tempelhof, erkannte den Angriff der Jagdflugzeuge als Erster. Die beiden MiG-15 hatten die DC-4 zunächst von unten her angeflogen, waren abgedreht, kehrten nun zurück und fingen plötzlich an zu feuern. Truffe sprang von seinem Sitz im Heck der Maschine auf, rief „Alles hinlegen!“, rannte nach vorne zu den Piloten, um sie zu warnen – kurz darauf zerfetzte ein Geschoss das Polster seines Sitzes.
Auch Passagier Walter Kurth aus Bad Homburg hatte sich auf den Warnruf hin in den Mittelgang fallen lassen: „Im nächsten Moment wurde unsere Maschine zum zweiten Mal angegriffen. Diesmal von oben. Es gab aber keine Panik. Ich wurde am Arm getroffen, dann verlor ich die Besinnung.“ Die 37-jährige Irmgard Nebel, die in West-Berlin ihre Mutter besuchen wollte, erwischte es am schlimmsten: Zwei Geschosssplitter trafen ihren Bauch.
Das tragische Ende von Flug MH 17 über der Ukraine, als dessen Ursache ein Abschuss durch prorussische Separatisten immer wahrscheinlicher wird, weckt gerade in Berlin Erinnerungen an ähnliche, wenngleich in ihren Folgen vergleichsweise glimpflich ausgegangene Luftzwischenfälle. Auch auf den drei Luftkorridoren nach West-Berlin, die die Siegermächte nach Kriegsende vereinbart hatten, gerieten westliche Militär-, aber auch Zivilmaschinen immer wieder zwischen die Fronten des – in diesem Fall – Kalten Krieges. Sie wurden von sowjetischen Jägern bedrängt, scheinbar angegriffen oder auch tatsächlich – und meist behauptete die Ost-Seite hinterher, die West-Maschine habe den Korridor verlassen und wollte offenbar spionieren.
Schwerster Angriff in der Nähe von Dessau
Der Angriff auf die viermotorige, mit elf Passagieren und sechs Crewmitgliedern besetzte Air-France-Maschine vom 29. April 1952 aber war die schwerste Attacke, die ein Zivilflugzeug traf. Es war ein in der Luftbrücke bewährter Typ, die Zivilversion der C-54 Skymaster, von der ein Exemplar noch heute auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof steht. Der Angriff – eine „sowjetische Provokation“, wie der Tagesspiegel schrieb – ereignete sich in der Nähe von Dessau. Die beiden Sowjetjets waren aus einer Wolke auf die Zivilmaschine herabgestoßen, zwangen sie zunächst, die in den Korridoren übliche Flughöhe von etwa drei Kilometern zu verlassen und auf 800 Meter zu sinken. Dann, gegen 10.40 Uhr, erfolgte der vierminütige Angriff, bei dem die MiGs viermal anflogen und die DC-4 mit Maschinengewehren und Bordkanonen beschossen. Dem Piloten Gilbert Schwallinger gelang es schließlich, in die Wolken zu entkommen.
Nur „unter den größten Schwierigkeiten“, wie es damals hieß, habe der Pilot Tempelhof erreicht. Insgesamt 22 Einschüsse wurden gezählt, Rumpf, Tragflächen, Leitwerk, ein Propeller und ein Benzintank waren getroffen worden – und fünf Insassen. Der 37-jährigen Passagierin wurden im Tempelhofer St.-Josephs-Krankenhaus zwei Geschosssplitter von Fingernagelgröße herausoperiert, dem Mann aus Bad Homburg mussten im Lichterfelder Rittberg-Krankenhaus Splitter aus dem rechten Arm und Knie entfernt werden. Drei weitere Insassen, darunter Steward Truffe, waren leicht verletzt worden. Nach diesem Angriff gab es viel öffentliche Empörung im Westen, Protestnoten wurden ausgetauscht, hier gegen den „verbrecherischen Angriff“, wie er im Tagesspiegel genannt wurde, dort gegen die angebliche Verletzung des Luftkorridors durch den Air-France-Piloten. In Ost-Zeitungen war nur von Warnschüssen die Rede.
Flug über die DDR blieb ein Wagnis
Immerhin hatte es keine Toten gegeben, anders als bei einem Zwischenfall vier Jahre zuvor: Eine Vickers Viking der BEA war am 5. April 1948 nahe Dallgow von einer sowjetischen Jak gerammt worden, alle 14 Insassen kamen ums Leben. Wahrscheinlich ein Unfall: Der Pilot, der ebenfalls starb, hatte angeblich Flugfiguren geübt, vielleicht aber auch ein wenig Katz und Maus gespielt und sich verschätzt. Und am 12. März 1953 wurde ein viermotoriger Lincoln-Bomber der RAF im Luftkorridor nahe Lauenburg von zwei MiG-15 abgeschossen, nur eines der sieben Besatzungsmitglieder überlebte.
Noch in den sechziger Jahren blieb der Flug über die DDR ein Wagnis und der Himmel potenzielles Kriegsgebiet. Das Bedrängen von West-Maschinen oder auch provokative Flüge über West-Berlin waren Alltag, gelegentlich mit dramatischen Folgen: Am 6. April 1966 stürzte eine sowjetische Jak-28 in den Stößensee, beide Insassen starben. Und am 13. Februar 1967 landete eine MiG-21 versehentlich in Tegel. An der Abfertigungshalle bemerkte der Pilot seinen Irrtum, rollte zur Piste zurück und weg war er.
Ein vergleichsweise harmloser Vorfall. „Britisches Privatflugzeug im Korridor angegriffen“, meldete der Tagesspiegel dagegen am 3. April 1963. Am Tag zuvor war die zweimotorige Cessna des britischen Fernsehstars Hughie Green auf dem Flug von Frankfurt nach West-Berlin von zwei Sowjetjets attackiert worden. Erst wollten sie ihn zur Landung in der DDR zwingen, dann, als er nach Rücksprache mit der Berliner Luftsicherheitszentrale nicht reagierte, wurde sechsmal gefeuert. Allerdings traf kein Geschoss die kleine Maschine, die danach, wenngleich ihr die MiGs folgten, unbehelligt blieb und in Gatow landen konnte. Angeblich sollen bei der Attacke einige Geschosse in Potsdam eingeschlagen sein und mehrere Personen verletzt haben. So berichteten es Westler nach Besuchen in Ost-Berlin, bei denen sie sich mit Verwandten aus Potsdam getroffen hatten. Westliche Stellen bezweifelten allerdings diese Berichte.