SPD-Landeschef Müller: "Sarrazin verbindet nur noch sehr wenig mit uns"
In der Berliner SPD regt sich Widerstand gegen das rasch beendete Ausschlussverfahren gegen den früheren Finanzsenator Sarrazin. Auch Landeschef Michael Müller zeigt sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel enttäuscht.
Herr Müller, sind die Grundwerte der SPD verhandelbar?
Nein, natürlich nicht.
Warum darf Thilo Sarrazin dann in der SPD bleiben?
Weil unser Statut für einen Parteiausschluss sehr hohe Hürden setzt und die Schiedskommission der SPD Wilmersdorf-Charlottenburg offenbar der Auffassung war, dass der Schaden, der der SPD durch Sarrazins Verhalten entstanden ist, einen Ausschluss nicht gerechtfertigt hätte.
In seinem Buch plädiert Sarrazin auch dafür, Akademikerinnen eine Geburtenprämie zu zahlen, um eine „Verbesserung der sozialökonomischen Geburtenstruktur zu erreichen“. Das ist also mit den Grundwerten der SPD vereinbar?
Wie ich finde nicht. Ich hätte mir ein klares und eindeutiges Urteil gewünscht. Ich muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die unabhängige Schiedskommission die Dinge hinsichtlich eines Parteiausschlusses rechtlich anders bewertet. Aber wenigstens hat Sarrazin in seiner Erklärung gegenüber der Kommission einlenken und einiges relativieren müssen.
In der Erklärung betont Sarrazin aber, sein Buch habe keine Veranlassung dazu gegeben, dass sich SPD-Mitglieder in ihrem sozialdemokratischen Grundverständnis beeinträchtigt fühlen könnten.
Das sieht er so und wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass ein Teil unserer Mitglieder es falsch gefunden hätte, ihn auszuschließen. Aber alle müssen ebenso akzeptieren, dass ein anderer Teil der Partei und der Bevölkerung sich mit diesem Urteil der Kommission schwer abfinden kann.
Welche Rolle hat der Berlin-Wahlkampf für die Entscheidung gespielt?
Keine. Nach allem, was ich weiß, konnte man in der Verhandlung am vergangenen Donnerstag nicht mehr erreichen als diese Einigung. Deshalb sind die Bundes-SPD, der Frankfurter Ortsverein, der Kreisverband und dann auch wir auf die Empfehlung der Kommission eingegangen. Was hätte ein Verfahren gebracht, das sich über Monate hinzieht, ohne dass es zu einem anderen Ergebnis kommt?
Wurden Sie von der Bundes-SPD in das Verfahren getrieben?
Nein. Aber wir hätten es alleine wahrscheinlich nicht angestoßen. Wir haben ja schon einmal schlechte Erfahrungen mit einem gescheiterten Verfahren gemacht ...
... als Sie Sarrazin wegen seiner Äußerungen über „türkische Kopftuchmädchen“ ausschließen wollten.
Richtig. Nach Erscheinen des Buches ist jetzt die Bundespartei vorangegangen und wir haben uns dem angeschlossen.
War das ein Fehler?
Im Nachhinein ist man immer klüger. Immerhin haben wir Sarrazin deutlich gemacht, dass er viele Menschen vor den Kopf gestoßen und viele SPD-Mitglieder verletzt hat. Thilo Sarrazin muss jetzt verstehen, dass ihn nur noch sehr, sehr wenig mit der Berliner SPD verbindet.
Was machen Sie, wenn Sarrazin nachlegt?
Inhaltlich gegenhalten. Ich glaube aber, dass sich der Provokateur Sarrazin allmählich selbst überlebt hat und wir die Integrationsdebatte wieder sachlich führen können.