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Trutzburg. In den Bunker-Anlagen unter dem Humboldthain suchten während des Zweiten Weltkriegs Mütter und Kinder Schutz.
© Kitty Kleist-Heinrich

Humboldthain: Ruht ein Klotz über allen Dingen

Im Humboldthain zeugt ein Bunker davon, wie umkämpft das Gelände einst war. Eine Tour führt unter die Erde.

Na klar gibt es hier auch all das: eine große, grüne Wiese, zu der das Schreien und Lachen aus dem Sommerbad herüberschwappt, riesige Bäume, die im Spätsommerwind rauschen und bald ihre Blätter orange-rot leuchten lassen werden, dazwischen die Beete, in denen die Rosen allmählich verblühen. Aber dann ist da noch dieser Turm, dieser große, graue Klotz, der alles überragt. Und diese zwei Betonplatten, die aussehen wie ganz gewöhnliche Gullydeckel. Wer sie nicht sucht, wird sie übersehen. Sie verbergen den Zugang zu einer Park-Perspektive, wie es sie in Berlin kein zweites Mal gibt: Den Blick in die Unterwelt des Humboldthain.

Sechs Meter geht es über eine kleine Trittleiter durch schmale Rohre hinab unter die Oberfläche und hinein in die Bunker-Anlagen, die sich fast unter dem gesamten Park erstrecken. 1941 sind sie von den Nazis gebaut worden, um Frauen und ihre Kinder vor Luftangriffen zu schützen. Bevor über die Trümmer in die „Mutter- Kind-Bunker“ geklettert wird, geht’s einmal hinauf zu den Ursprüngen des Parks. Denn das 29 Hektar große Gelände war eigentlich als Naherholungsgebiet für die Arbeiter aus den anliegenden Stadtteilen Wedding und Gesundbrunnen geplant gewesen. Allerdings sollten sie sich hier nicht nur vergnügen, sondern auch etwas über die Natur lernen. Darauf verweist schon der Name: Humboldthain. Benannt nach dem in Berlin geborenen Forscher Alexander von Humboldt.

Am 14. September 1869, an dem Tag, an dem Humboldt 100 Jahre alt geworden wäre, ist mit dem Bau des Parks begonnen worden. Da war der Naturliebhaber leider schon zehn Jahre tot, dabei hätte ihm sicher gefallen, was der Städtische Gartendirektor Gustav Meyer da zu seinen Ehren entworfen hatte.

Meyer lernte bei keinem Geringeren als Gartenkünstler Peter Joseph Lenné an der Königlichen Gärtnerlehranstalt Sanssouci. Zusammen hübschten sie im Auftrag von Friedrich Wilhelm IV. die Grünanlagen rund um Potsdam auf. Meyer wurde Königlicher Hofgärtner und übernahm nach Lennés Tod das neu geschaffene Amt des Städtischen Gartendirektors zu Berlin. Ihm gefiel die Idee, Parks für das einfache Volk zu schaffen. Sie sollten „Stätten der Bewegung, der Erholung, Orte geselliger Unterhaltung, auch des Naturgenusses, der Bildung und der Veredelung der Sitten“ sein, wie es in den Aufzeichnungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung heißt. Meyer war also quasi Berlins erster Wellness-Papst.

Erst legte er den Volkspark Friedrichshain an, dann folgte der Humboldthain – wobei der Gartenbauer dabei nicht nur an den großen Humboldt, sondern auch ein kleines bisschen an sich selbst gedacht haben dürfte. Er ließ den Park vis-à-vis seiner Dienstvilla angelegen. Noch heute erinnert daran die Gustav-Meyer-Allee, an der sich ein Technologie- und Innovationspark mit einer Dependance des Fraunhofer-Instituts und dem Institut für Biotechnologie der TU Berlin befindet.

Luftschutzanlage und Mutter-und-Kind-Bunker im Humboldthain

Meyer setzte neue Standards mit den weiträumigen Spiel- und Sportwiesen, Spielplätzen und der Anpflanzung zahlreicher, nach geografischer Herkunft gepflanzter Gehölze, einer geologischen Wand und den Beeten zur botanischen Anschauung. Schon vorher war die Gegend am Gesundbrunnen dank ihrer eisenhaltigen Quelle ein beliebtes Ausflugsziel. Der Quelle, die sich im Hinterhof des Hauses Nummer 38/39 in der heutigen Badstraße befand, wurde Heilkraft attestiert. Aber dann passierte ein äußerst blöder Fehler: Bei den Grabungen für die Kanalisation wurde die Quelle 1882 versehentlich zugeschüttet – Pfusch am Bau hat in Berlin Tradition. Blieb also noch der Humboldthain, aber auch der wurde einige Jahre später in großen Teilen vernichtet.

Im Oktober 1941 begannen die Nazis, in dem Park zwei als Hochbunker gebaute Flaktürme zur Abwehr von Flugangriffen zu errichten. Dazu eine provisorische Luftschutzanlage im U-Bahnhof Gesundbrunnen und die zwei „Mutter-und-Kind-Bunker“, die über die Parkseite an der Brunnenstraße zu erreichen sind. „Nacht für Nacht kamen die Frauen mit ihren Kindern hierher. Ihre Männer waren an der Front, sie wurden in der Industrie gebraucht und mussten tagsüber bei Kräften sein. Um sich nicht bei einem drohenden Angriff mitten in der Nacht auf den Weg machen zu müssen, suchten sie hier jeden Abend Schutz“, erzählt Henry Gidom von den „Berliner Unterwelten“. Der Verein zeigt in verschiedenen Touren, wie die Familien auf und unter dem Humboldthain lebten. Zwar wurden nach dem Krieg sowohl einer der Flakbunker als auch die „Mutter-und-Kind-Bunker“ durch Sprengungen zerstört, doch noch immer sind die Anlagen teilweise zugänglich.

Vorsichtig muss der schwere Betondeckel über dem Zugang zur Seite geschoben werden, der nur mit Spezialwerkzeug zu öffnen ist. Dann geht es die Stufen hinab, am Ende der Röhre angekommen muss man sich niederhocken, um durch die schmale Öffnung hinein in den Bunker zu gelangen. Stockdunkel ist es hier und mindestens zehn Grad kälter. Taschenlampe an, ein riesiger Haufen dicker Steine taucht im Schein des schwachen Lichts auf. Von der Decke ragen Baumwurzeln, die sich durch den etwa 1,80 Meter dicken Beton gebohrt haben, Wassertropfen glitzern an ihren Enden und zeugen vom Leben an der Oberfläche.

Der Bunker war in Kammern aufgeteilt, in denen jeweils zwei Mütter mit ihren Kindern übernachteten. Fast alle Räume sind durch die Sprengungen zerstört worden, die dicken Betonsteine liegen im ganzen Bunker verteilt. Nur die Kammer mit der Nummer 17 steht noch. Sechs Quadratmeter ist sie etwa groß, von den Stockbetten und anderen Möbeln ist nichts mehr übrig. Von der Beklemmung viel.

Oben, zurück im Park, erinnert noch viel daran, wie umkämpft der Park einst war: In dem in den achtziger Jahren angelegten Rosengarten sind noch die Mauern der weggesprengten Himmelfahrtskirche zu erahnen. Zwei Flakhelfer, die auf dem Geschützturm standen, hatten versehentlich den Kirchturm getroffen, als sie die Kanone zu weit schwenkten, erklärt Gidom. Im April 1945 sei die Kirche dann von den Alliierten zerstört worden.

Der Rosengarten liegt auf einer kleinen Anhöhe, daneben geht’s die Treppenstufen hinauf zum Bunkerberg, künstlich aufgehäuft aus 1,6 Millionen Kubikmetern Trümmerschutt. Der große, graue Flakturm an der Nordseite des Parks ist nur erhalten, weil die nahe gelegenen Bahngleise nicht durch Sprengungen beschädigt werden durften. Heute rattert unterhalb des Turms die S-Bahn zur Station Humboldthain vorbei.

An der Nordseite des Turms hangeln sich Kletterer hoch. Was für eine Aussicht: Auf den Wedding und Tegel, dazu noch ein Teil von Prenzlauer Berg. Die einschwebenden Flugzeuge sind schon von Weitem zu sehen, ein alter Mann lehnt am Geländer und schaut ihnen nach, eine Gruppe muslimischer Frauen unterhält sich am Rand, ein Jogger kommt schnaufend den steilen Pfad hoch, hält kurz inne und rennt weiter. Gustav Meyer wäre zufrieden gewesen

Infos zur Bunkertour: www.berliner-unterwelten.de oder Tel: 499 105 17

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