Gedenkfeier: Rotes Blumenmeer für Luxemburg und Liebknecht
Tausende haben am Sonntag der Ermordung der Sozialistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedacht. Vor dem Denkmal auf dem Friedhof in Friedrichsfelde legten die Genossen rote Blumen nieder.
Es gab schon härtere Morgen als den dieses zweiten Januarsonntags für Carsten Schatz. Doch am späten Vormittag war der Organisator des linken Gedenkrituals auf dem Sozialistenfriedhof Friedrichsfelde ziemlich durchgefroren, auch wenn er am Eingang in der Sonne stand. Immerhin hatte Schatz an diesem Sonntagmorgen weder selbst Schnee schaufeln noch vereiste Friedhofswege abstumpfen müssen. Für den Mann, der seit zehn Jahren für tausende Linke, Kommunisten und Sozialisten unter dem Motto „Am Sonntag zu Rosa und Karl“, eine große Demonstration organisiert, war es eine gelungene Veranstaltung: Vermutlich noch mehr Teilnehmer als in früheren Jahren, kein Ärger, keine Unfälle, gefestigte politische Kampfmoral.
Carsten Schatz, im Hauptberuf Landesgeschäftsführer der Berliner Linken, gehört nicht zu den Dogmatikern der Partei. Für die Genossen der Türkischen Kommunistischen Partei, die skandierend vor dem Friedhof aufmarschieren, hat er nur ein leichtes Schulterzucken übrig: Die Klassikerköpfe von Marx, Engels, Lenin auf dem Transparent sind ihm willkommen – aber Stalin?! Und Mao?! „Splittergruppen“, sagt Schatz mit Blick auf die kommunistischen Türken.
Ihm selbst geht es an diesem Tag nicht bloß um die Organisation. Zu DDR-Zeiten mag die Erinnerung an die beiden linken Ikonen „ein relativ straff organisiertes, ritualisiertes Gedenken“ gewesen sein, sagt Schatz, mit festen Stellplätzen für alle Gruppen und den „Honoratioren“ auf einer Tribüne – „da lief man dann schnell vorbei“. Aber heute kommen die Leute, wann und wie sie wollen, morgens um neun oder mittags um halb eins, mit ganzen Nelkensträußen oder ohne alles, Alte mit strengen Gesichtern und dem Ausdruck permanenter Missbilligung, junge Punks – und dazwischen ganz verschiedene Leute, die sich Luxemburg und Liebknecht so verbunden fühlen wie Carsten Schatz: „Das waren halt zwei, die für das eingestanden sind, woran sie geglaubt haben“, sagt er. Sicher sei die Veranstaltung „identitätsstiftend“ im Sinne der Linken. Doch er würde auch zu Luxemburg und Liebknecht gehen, wenn das nichts mit seiner Arbeit zu tun hätte. Er hat viel übrig für zwei Menschen, „die ihrer Zeit die Stirn geboten haben“.
Die Organisation des von der DDR nach Deutschland hinübergeretteten Gedenkens ist nicht allein Schatz’ Sache, aber er trägt die Verantwortung: Er meldet die Veranstaltung an, er rekrutiert Ordner – schließlich befinde sich die Gedenkstätte auf einem Friedhof, da sollte man schon darauf achten, dass niemand durch die Blumenrabatten stolpere, sagt er. Schatz ist für die Sicherheit verantwortlich und Ansprechpartner der Polizei, die am Sonntag aber nichts zu tun hatte. Konflikte wurden nicht gemeldet, auch der ebenfalls gedenkfreudige Block der Autonomen verhielt sich korrekt.
Zumindest auf dem Friedhofsgelände und erst recht in der Nähe des Luxemburg-Grabes achten Sozialisten ohnehin auf Anstand. Eine lange Schlange von Menschen mit Nelken wand sich noch am Sonntagmittag in das Rondell hinein, in dessen Mitte ein hoher Stein steht: „Die Toten mahnen uns“ steht darauf. „Nehmen Sie mal den Fuß da runter! Das ist ein Denkmal!“, bellt ein mittelalter Mann, als ein Luxemburg-Verehrer die Steinumrandung des Mahnmals betritt und dem Grab der Sozialistin zu nahe kommt. Wenig später tönt ein anderer: „Ey, Genossen, wollt ihr alle auf die Grünanlage treten oder watt?“
Für manche ist dieser Sonntag, der an die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts am 15. Januar 1919 erinnert, wohl eher ein politisches Hochamt als ein Impuls für die Gegenwart. Schon am Morgen hatten die Granden der Partei den Kranz mit der roten Schleife niedergelegt – Gesine Lötzsch, Klaus Ernst, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Der Zentralfriedhof Friedrichsfelde war, bevor Luxemburg und Liebknecht hier beerdigt wurden, als „Armenfriedhof“ bekannt. Zu DDR-Zeiten wurden viele Verfolgte des Nazi-Regimes dort beigesetzt. Seit 2006 gibt es dort einen Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus.