Streit um Proberaumareal in Berlin: Rock ’n’ Roll im Rockhaus derzeit nur bedingt möglich
Der Rechtsstreit um das Gebäude mit rund 1000 Musikern könnte noch mindestens ein Jahr gehen, sagt der Anwalt des Besitzers. Die Künstler rocken derweil - außerhalb der schallisolierten Räume.
Rund 1000 Musikerinnen und Musiker fragen sich derzeit, wie lange sie ihre Proberäume im „Rockhaus“ in der Buchberger Straße 6 in Lichtenberg noch nutzen können. Der Eigentümer des Gebäudes hat dem Betreiber gekündigt. Allein der sprechenden Namen wegen könnte es auch ein Drama von Bertolt Brecht sein: Eigentümer Shai Scharfstein mit seinem Anwalt Andreas Gemeinhardt will Betreiber Dirk Kümmele aus dem Haus haben.
Offiziell deswegen, weil dieser vertraglichen Verpflichtungen zum Brandschutz nicht fristgerecht nachgekommen sei. Das Landgericht Berlin hat die Rechtmäßigkeit der Kündigung bestätigt, doch Kümmele ist in Berufung gegangen und auch einige Künstlerinnen und Künstler wehren sich. „Wir haben ein Rockhaus gemietet, und jetzt wird hier auch gerockt“, sagt die Saxofonlehrerin Lille Greiner, die seit sechs Jahren in dem Haus unterrichtet.
Die Stimmung ist gedrückt
Am Wochenende wurde zum ersten Mal für den Erhalt des Hauses demonstriert. Vor dem Gebäude schlugen 20 Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger gemeinsam auf ihre Snare-Drums ein (sehen Sie hier ein Video davon), über dem Eingang hängt ein großes Plakat: „Das Rockhaus bleibt.“ Genau so ist auch der Titel eines Songs, dem Soundtrack zum Widerstand. „Keiner weiß, wie lange er seine Bude noch hat“, heißt es in dem Lied von Thore von Sengen, der seit 10 Jahren im „Rockhaus“ probt.
Die Stimmung vor Ort ist betrübt. Einige Musiker sehen sich bereits nach neuen Proberäumen um und wollen sich auch nicht an Protestaktionen beteiligen. Es habe eh keinen Sinn, sagen viele. Letzten Endes würden sich die reichen Investoren doch sowieso durchsetzen. Wieder andere wollen kämpfen und sich nicht vertreiben lassen. Die meisten Mieter jedoch sind einfach nur frustriert. Wenn man nie wisse, wie lange man noch bleiben könne, würde das an den Nerven zehren, man könne nicht richtig investieren oder planen – es sei einfach „eine scheiß Situation.“ Rock ’n’ Roll sei da nur bedingt möglich.
Klaus Lederer bekennt sich zum Rockhaus
Von Sengen gehört zu denjenigen, die kämpfen wollen: „Wir haben nicht die Absicht, einfach zu gehen. Da werden noch einige Aktionen kommen.“ Eine Online-Petition hat er jedenfalls schon ins Leben gerufen. Bisher haben fast 6000 Personen bei „Rettet das Rockhaus“ unterschrieben.
Auch einige Politiker fordern eine Lösung zugunsten der Musik. „Wir sind uns angesichts immer knapper werdender Arbeitsräume für Künstler*innen der Bedeutung des Berliner Rockhauses bewusst“, sagt Berlins Kultursenator Klaus Lederer. „Daher setzen wir uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für den Erhalt des Hauses ein.“ Da es sich um eine private Liegenschaft handelt, könne man derzeit jedoch nicht mehr machen als an beide Seiten zu appellieren, Moderation anzubieten und „zu hoffen.“ Lederer selbst will Scharfstein einen Brief schreiben.
Es muss miteinander geredet werden
Zur Moderation ist „Musicboard“ eingeschaltet, die sich für die Musikszene Berlins einsetzen. Geschäftsführerin Katja Lucker kann jedoch auch nicht mehr machen, als auf die Gesprächsbereitschaft beider Parteien zu appellieren. „Wir hoffen, dass im Interesse der Musikerinnen und Musiker eine Lösung gefunden wird.“
Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst war bei den Protesten vor Ort und steht in engem Kontakt mit Betreiber Kümmele. „Der Bezirk hat großes Interesse am Weiterbestehen der Probemöglichkeiten im Rockhaus“, sagt auch er. Dem Bezirksamt würden keine Informationen zu etwaigen anderweitigen Planungen vorliegen. Das Grundstück sei im Flächennutzungsplan als Gewerbegebiet ausgewiesen. Ein Bebauungsplan bestehe nicht und werde derzeit auch nicht angestrebt. Ein Umbau zu einem Wohnhaus, wie viele Musiker im Rockhaus befürchten, könne demnach nicht stattfinden. Auch Grunst findet, es müsse miteinander geredet werden.
Mindestens ein Jahr wird der Streit wohl noch dauern
Andreas Gemeinhardt, Anwalt der „Scharfstein Group“, die die Immobilie im Mai 2015 gekauft hat, sagt, er wisse nicht, worüber diskutiert werden sollte. „Es gibt ein Gesprächsangebot der Gegenseite. Wir haben uns dazu noch nicht positioniert.“ Der Gerichtsbeschluss sei durch, Kümmele sei vertraglichen Verpflichtungen zum Brandschutz nicht fristgerecht nachgekommen und habe auch nach mehrfacher Aufforderung die erforderlichen Maßnahmen nicht durchgeführt. Daraufhin sei ihm das Mietverhältnis im Februar 2016 gekündigt worden. Da Kümmele Berufung gegen das Gerichtsurteil eingelegt hat, werde sich der Rechtsstreit noch bestimmt mindestens ein Jahr hinziehen, schätzt Gemeinhardt.
Kümmele hingegen sagt, alle brandschutztechnischen Maßnahmen seien nach den geforderten Vorgaben umgesetzt worden. Seitens der Behörden habe es für die Umsetzung keine Fristvorgaben gegeben. „Auch eine eigenmächtige Fristsetzung des Eigentümers, welche Grundlage der schnellen Kündigung war, kann hieran nichts ändern“, so Kümmele. „Dass ein Kammergericht des Landes Berlin, welches sich kurz vor der Auflösung befand, der Argumentation des Klägers folgte, sehen wir als glattes Fehlurteil an.“ Während des Verfahrens sei nicht ein einziger Sachverständiger zum Thema Brandschutz geladen worden.
Derzeit wird auch um die Herausgabe einer Liste gestritten: Scharfsteins Anwalt Gemeinhardt erzählt, sein Mandant habe Kümmele erfolglos gebeten, die Kontaktdaten der Musiker sowie die Mietverträge zur Verfügung zu stellen, um „sich ein Bild von der aktuellen Nutzungssituation machen zu können und erforderlichenfalls unmittelbar an die Musiker wegen einer Fortführung der Nutzung heran treten zu können.“
Juristisch geht es nur gegen Betreiber Kümmele
Kümmele reagierte darauf mit der Frage, was denn das „erforderlichenfalls“ bedeuten würde. Wenn Scharfstein daran interessiert sei, die Musiker im Haus zu behalten, solle er dies bitte klarer formulieren. Stattdessen sei die Zwangsräumung mehrfach angekündigt und der Wunsch, alle Bands aus dem Haus zu haben, klar ausgesprochen worden. Daher weigert sich Kümmele weiter, die Liste mit den Namen der Mieter herauszugeben. Ihm würde auch schriftlich vorliegen, dass Scharfstein diese Liste haben wolle um „alternative Szenarien der vollständigen Räumung prüfen zu können.“
Gegenteiliges kam zuletzt von Lichtenbergs Stadträtin für Stadtentwicklung, Birgit Monteiro (SPD), demnach Gemeinhardt gesagt habe, Scharfstein sei bereit, mit allen einzelnen Mietern eigene Mietverträge auszuhandeln. Gegenüber dem Tagesspiegel sagte Gemeinhardt jedoch, dass er das so nie gesagt habe. Allerdings würde er dies „auch nicht ausschließen“, Scharfstein werde „diese Möglichkeit mit Sicherheit prüfen“. Man wisse es derzeit einfach nicht und könne aufgrund des laufenden Verfahrens eigentlich sowieso gar nichts sagen oder machen. Juristisch gesehen gelte der Vollstreckungstitel nicht gegen die Mieter, sondern nur gegen den Betreiber Kümmele. Daher könne er die Aufregung auch überhaupt nicht verstehen, sagt Gemeinhardt.
Deprimierende Gentrifizierung
Die Musiker beruhigen solche Aussagen eher weniger. „Dirk Kümmele hat das Rockhaus zu dem gemacht, was es überhaupt ist“, meint von Sengen zum Beispiel auf die Frage, ob er sich vorstellen könnte, einen neuen Mietvertrag mit Scharfstein auszuhandeln. „Wir wollen da keinen Keil zwischen uns treiben lassen. So ein Haus braucht ja auch jemanden, der sich darum kümmert. Und das kann der Dirk.“ Dieser sagte dem Tagesspiegel, dass er auch einen Kauf des Gebäudes in Betracht ziehe und auf eine Möglichkeit warte, verhandeln zu können. „Ich würde mich über ein Gespräch freuen.“
Eine Schließung würde für viele der Hobbymusiker die Auflösung ihrer Bands bedeuten, die Existenz vieler Menschen wäre bedroht. Sebastian Raabe zum Beispiel würde seinen Job verlieren. Er probt nicht nur mit seiner Band „Neuwahl“ in dem Gebäude, sondern ist auch der Nachtwächter. Das Haus ist 24 Stunden lang für die Musiker geöffnet.
Solange nichts entschieden ist, kann weitergeprobt werden. So auch bei „Mujah“ Wenn sie aus dem Rockhaus raus müssten, wäre es schwierig, etwas Neues zu finden, sagen sie. Allein ein Umzug wäre aufwändig. Mit der Zeit haben sie einiges an Equipment in dem Raum gelagert und natürlich auch Geld investiert. „Man hört von der Gentrifizierung von allen Seiten“, sagt Schlagzeuger Dominik Fraßmann. „Das jetzt auch am eigenen Leib zu spüren, ist sehr anstrengend und deprimierend.“