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Mitte Dezember haben bereits einige hundert Mieter für die Erhaltung ihrer Wohnungen demonstriert.
© imago/Christian Mang

Thiemannstraße in Berlin-Neukölln: Rentner fürchten Verdrängung: "Ich bin hier geboren"

Ein dänischer Fonds hat einen Wohnkomplex in Neukölln erworben. Den Mietern macht das Sorgen. Unter ihnen sind viele Rentner, die teils Jahrzehnte dort leben.

Der dänische Pensionsfonds PFA kaufte im Sommer rund 3700 Wohnungen in ganz Deutschland – darunter auch den denkmalgeschützten Hauskomplex in der Thiemannstraße 16 bis 23 und Böhmische Straße 21 und 23 in Neukölln. Der Bezirk prüft aktuell das Vorkaufsrecht. Bis zum 7. Januar ist Zeit, einen Drittkäufer zu finden – oder eine Abwendungsvereinbarung mit den neuen Eigentümern zu schließen.

Was genau der Fonds mit den Wohnungen vorhat, ist unklar. Die Münchner Domicil Real Estate Group, die das Immobilienpaket für den PFA betreut, will sich auf Anfrage nicht äußern und verweist auf das laufende Verfahren. Auf seiner Webseite wirbt das Unternehmen mit einer „nachhaltigen Ertragsoptimierung“ bei gekauften Immobilien – und nennt als Maßnahmen etwa die „Auf- und Nachvermietung“.

Die mehr als 300 Bewohner der 140 Wohnungen in Neukölln fürchten nun ihre Verdrängung. Mitte Dezember demonstrierten mehrere hundert Menschen für die Erhaltung ihrer Wohnungen. Auch der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) und der Stadtrat für Stadtentwicklung, Jochen Biedermann (Grüne), waren anwesend und sicherten den Bewohnern ihre Unterstützung zu.

Unter den Bewohnern sind rund 60 Rentner, die zum Teil seit Jahrzehnten in ihren Wohnungen leben – und nun vielleicht verdrängt werden, um die Renten dänischer Senioren zu sichern. „Seit über 40 Jahren lebe ich in der Wohnung“, schreibt ein Bewohner in einem offenen Brief.

"Ich habe in der Wohnung meine Einschulung gefeiert"

„Ich bin hier geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen. Ich habe in der Wohnung meine Einschulung gefeiert. Meinen Schulabschluss. Meinen 18. Geburtstag. Den Abschluss meiner Berufsausbildung. Ich kenne hier jede knarzende Diele und jede quietschende Tür.“ Viele Nachbarn kenne er schon sein ganzes Leben lang. „Wenn Sie zulassen, dass aus den Wohnungen Eigentumswohnungen werden, dann nehmen Sie vielen Menschen wie meinen Eltern und mir ein Stück ihres Lebens, ein großes Stück der persönlichen Vergangenheit und die Zukunft, denn viele von uns Mietern wissen dann wohl nicht, wie es weitergehen soll.“ Denn, schreibt der Bewohner weiter, den Menschen ihre Wohnungen zu nehmen, würde heißen, ihre Leben durcheinanderzuwerfen – sie zu entwurzeln und zu einem Neuanfang zu zwingen, „den viele nicht verkraften würden“.

Die Sorge der Mieter sei grundsätzlich berechtigt, sagt Stadtrat Biedermann. Die Wohnungen liegen zwar im Milieuschutzgebiet – doch auch hier ist etwa die Umwandlung in Eigentumswohnungen nach einer gesetzlichen Sperrfrist von sieben Jahren möglich. „Ich bin aktuell vorsichtig optimistisch, dass wir eine gute Lösung finden“, sagt Biedermann. Er sei mit den neuen Eigentümern in Kontakt, parallel werde nach möglichen Drittkäufern gesucht.

„Die Sorge, dass der Gebäudekomplex auf Grund der Größe rausfliegt, habe ich eigentlich nicht“, sagt Biedermann. Für eine städtische Wohnungsbaugesellschaft oder eine Genossenschaft seien der Kaufpreis und die Objektgröße durchaus zu stemmen. Parallel werde mit dem PFA über eine mögliche Abwendungsvereinbarung verhandelt.

Verhandlungen über mögliche Abwendungsvereinbarung

„Ich bin optimistisch, dass wir entweder den Vorkauf oder die Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung erreichen können“, sagt Biedermann. Erfahrungen mit dem PFA habe das Bezirksamt bislang keine, offenbar ist der Fonds noch nicht in Neukölln aufgetreten. „Es mag zwar sein, dass die kapitalgebenden Altersversorger aktuell auf der Suche nach neuen Anlageformen sind, städtische Immobilien sind da ja gerade besonders lukrativ“, sagt Biedermann. Allerdings sei es bislang rein spekulativ, ob sich hieraus auch Preissteigerungen oder ein mieterfeindliches Gebaren ableiten ließen.

Der PFA ist ein privater Anbieter von Renten und Versicherungen. Im Sommer 2018 kaufte der Fonds laut eigenen Angaben über 3700 Wohneinheiten in 15 deutschen Städten. Neben dem Neuköllner Wohnkomplex kaufte der Fonds in Berlin offenbar auch Wohneinheiten in Prenzlauer Berg, Wedding und Tempelhof-Schöneberg. Michael Bruhn, verantwortlich für den Immobilienbesitz des Fonds, begründete den Kauf mit den geringen Risiken für Kursverluste – bedingt durch den Wohnungsmangel in deutschen Großstädten. In München machte die Stadt bereits von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und entzog der PFA rund 300 Wohnungen.

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