Erzieher in der Kita: Reine Männersache
Für die Mädchen Knuddelbär, für die Jungen Spielpartner: Als Erzieher gehört Christian Zahrt einer noch seltenen Spezies an. Ein Grund dafür könnte das Vorurteile sein, ein Mann als Erzieher könne nur eine kaputte Existenz sein. Oder?
Der Abdruck ist handtellergroß, eine flache Einkerbung auf dem holprigen Feldweg. 50 Zentimeter daneben noch ein Abdruck, diesmal erinnert er an eine Sichel. Aber diesmal ist eine Kante deutlich eingegraben, dann läuft der Abdruck in einem leichten Halbbogen aus.
Christian Zahrt beugt sich über die Spuren wie ein Fährtenleser. 16 Kinder, zwischen vier und sechs Jahre alt, starren abwechselnd auf die Abdrücke und auf Zahrt. „Hier liefen Pferde“, sagt Zahrt. „Der flache Abdruck zeigt, dass ein Pferd langsam gegangen ist. Das Huf hat gleichmäßig aufgesetzt.“ Und hier, Zahrt deutet auf die Sichel, „hier ist es getrabt, der Huf hat diesen Halbmond eingedrückt." Die Kinder lauschen beeindruckt.
Naturtag der Gruppe A der Kita des Phorms-Schulkomplexes in Zehlendorf, die Truppe ist in der Domäne Dahlem, neben der Weide, auf der Pferde grasen. Sie haben in einer Scheune Geschichten über Schafe gehört, jetzt durchstreifen sie das Gelände. Noch lieber aber sind ihnen die Waldtage, wenn Zahrt sie in den Forst führt. „Der Wald“, sagt er, „ist mein Gebiet.“ An seinem Gürtel hängen Karabinerhaken und eine Taschenlampe.
1142 männliche Erzieher in Kitas gab es 2013 in Berlin, das sind gerade mal 6,3 Prozent aller Kita-Erzieher. Christian Zahrt, 1,92 Meter groß, Vollbart, Schultern wie ein Möbelpacker, ist einer von ihnen. Und wahrscheinlich gibt es nicht viele, die so sehr die Hoffnungen und zugleich die Vorbehalte von Eltern beim Thema Erzieher verkörpern wie dieser 43-Jährige aus Tempelhof.
John Wayne erobert die Kita und die Herzen der Eltern
Einer, der entschieden über den Flur der Kita läuft wie John Wayne auf einer staubigen Straße im Wilden Westen beim Gang zum letzten Duell. Einer, dem man eher zutraut, dass er eine rohe Kartoffel mit der bloßen Hand zerquetscht, als dass er vorsichtig Windeln wechselt. Einer, der auf Umwegen zum Erzieher wurde. Der aber auch Eltern, Jungs und Mädchen begeistert, weil er Fährten lesen und mit Stöcken einen Unterstand bauen kann. Weil er aussieht, wie sich viele ein männliches Vorbild vorstellen.
Morgenkreis der Gruppe A, die 17 Kinder sitzen in ihrem Spieleraum, Christian Zahrt dazwischen, die Puzzleteile einer Weltkarte vor sich auf dem Boden. Der 43-Jährige redet über die Kontinente, während neben ihm zwei Mädchen streiten. Zahrt dreht sich zu ihnen. „Karin und Elena, könnt ihr bitte die Plätze tauschen“, sagt er*. Die Stimme ist klar, aber auch weich, viel weicher, als man ihm das erst mal zutrauen würde. Die Mädchen rücken auseinander. Das ist der andere Christian Zahrt, der Mann, der die Tonlage einfühlsam anpasst.
Zwischen Knuddelbär und Sportskamerad
„Christian ist streng, aber auch toll“, sagen mehrere Kinder. „Christian hat eine natürliche Autorität, die Kinder sind begeistert von ihm, weil er so viel vom Wald versteht; er hat eine Vorbildfunktion“, sagt Irene Asar-Fawale, Zahrts Kollegin in der Gruppe A, eine erfahrene Erzieherin. Seit zwei Jahren arbeitet sie mit ihm. „Ich bin immer noch mitunter unsicher, aber andererseits vor allem authentisch, alles andere würden die Kinder sofort merken“, sagt Zahrt.
Die Jungs in der Gruppe, sieben genau, gehen anders mit ihm um als die Mädchen. „Für die Jungs bin ich das Telefonbuch, die Auskunftszentrale. Oder auch oft der Spielpartner. “ Die Jungs kommen zu ihm mit ihrer Flut von Fragen, oder sie wollen Sport mit ihm treiben. „Für die Mädchen“, sagt Zahrt, „bin ich oft der Knuddelbär.“ Manchmal drängt eine ganze Gruppe Mädchen zu ihm und möchte auf seinem Schoß sitzen.
Vorurteil: Ein männlicher Erzieher? Verkrachte Existenz!
„Vor allem bei Waldtagen ist er der Chef“, sagt Irene Asar-Fawale. Da spannt Zahrt ein Seil zwischen Bäumen und lässt die Kinder, mit Hilfestellung, balancieren. Oder er spielt den Wolf, und die Kinder rennen davon und versuchen zu entkommen. Eine Mutter erzählte der Erzieherin mal, dass sie ihrem Sohn Karabinerhaken und eine Taschenlampe kaufen musste, weil der das alles am Gürtel seines Erziehers gesehen hatte. „Ich habe das Gefühl, ich bin angekommen“, sagt Zahrt.
Zu laut, nicht feinfühlig genug
Er hat einen schwierigen Weg hinter sich. Im Sommer 2010 begann er die Ausbildung, seit rund drei Jahren arbeitet er intensiv in der Phorms-Kita, im Sommer 2013 hat er die Ausbildung abgeschlossen. Seine Stimme passt zu seinem Körper, sie ist normalerweise laut und dominant, am Anfang hat er sie nicht feinfühlig genug eingesetzt: Er war zu laut. Die Kinder schreckten vor dieser Stimme zurück, Eltern beschwerten sich, es gab ein Gespräch mit den Elternvertretern, auch Kollegen sagten: „Du bist zu laut.“
Vor Gender-Urteilen sind Männer nicht gefeit
Zahrt, gerade erst ein paar Monate in der Ausbildung und ohnehin verunsichert, musste in diesen Momenten mit seinen Zweifeln kämpfen. „Ist das wirklich der richtige Job für dich?“, fragte er sich. Es gebe noch heute Eltern, sagt eine Erzieherin der Kita, denen Zahrt zu laut sei. Sie gäben deshalb ihre Kinder in eine andere Gruppe.
Aber persönlich hat das dem 43-Jährigen noch niemand gesagt, zudem sind solche Eltern Ausnahmen. Zahrt und Asar-Fawale haben sogar so viele Nachfragen, dass sie Kinder ablehnen müssen.
Aus Fehlern lernen, um ein besserer Erzieher zu sein
Denn der Naturmensch Zahrt hat seine Anfängerfehler abgestellt. Er redet nicht mehr zu laut und nicht mehr zu viel, er überfordert die Kinder nicht mehr. Einmal machte er – in der Ausbildung – mit den Kindern ein harmloses Experiment. Es blubberte und sprudelte, und Zahrt war so hingerissen, dass er nicht sah, wie die Kinder überfordert abschalteten.
Jetzt weiß er besser, wie man Kinder begeistert. Gerade die Umwege auf dem Weg zum Erzieher helfen ihm. Zahrt studierte Mathematik, brach das Studium ab, jobbte auf dem Bau und als Betreuer in einem Hochseilgarten. Er ist Rettungsschwimmer, klettert, fährt Kajak, macht Kung Fu, ist handwerklich geschickt, das ganze Programm also. Wenn seine Kinder Erdwälle bauen, bringt er ihnen bei, dass die einen bestimmten Neigungswinkel haben müssen, sonst zerbröseln sie.
Als er auf die 40 zuging, war klar: Er musste eine Ausbildung beenden. Weil er schon immer mit Kindern und Jugendlichen arbeiten wollte, hatte er sein Ziel bald formuliert. Für einige Eltern ist Zahrt damit ein Klassiker. „Für viele“, sagt eine Kita-Leiterin, „sind Erzieher verkrachte Existenzen, die einen Job suchen, nachdem sie gescheitert sind.“ Verkrachte Existenz? „Blödsinn“, sagt Zahrt. „Ich habe mir diese Ausbildung gut überlegt.“ In seiner Klasse am Sozialpädagogischen Institut Walter May am Halleschen Ufer waren fünf Männer. „Keiner von denen“, sagt der 43-Jährige, „war eine verkrachte Existenz.“ Nur einer von ihnen arbeitet allerdings nach der Ausbildung in einer Kita: Zahrt.
Für diverse Eltern ist das einer zu viel. „Es gibt auch Väter und Mütter, die wollen nicht, dass ihr Kind von einem Mann betreut wird“, sagt eine Kita-Leiterin. Der kann nicht Windeln wechseln, der tröstet nicht richtig – das sind die häufigsten Argumente. „Lächerlich“, sagt Zahrt. Er hat selber drei Kinder, er hat ein halbes Jahr in der Phorms-Krippe gearbeitet, „natürlich habe ich Windeln gewechselt.“ Soll er sich mit solchen Argumenten auseinandersetzen? Macht er nicht. „Das ist ideologisch geleitet.“
Und natürlich gibt es da noch ein weiteres Argument von Eltern: Angst vor pädophilen Übergriffen. Zahrt kennt Fälle von sexuellem Missbrauch, er nimmt das Thema sehr ernst. Dennoch: „Oft ist das ein Totschlag-Argument. Viele Eltern sagen das, damit man ruhig ist. Sie wollen einfach keine Männer als Erzieher.“
In der Domäne Dahlem sehen das die Kinder ganz anders. Sie beugen sich über eine weitere Spur, wieder handtellergroß. Diesmal sind die Einkerbungen vorne tiefer als hinten. „Weißt du, was die Pferde hier gemacht haben?“, fragt ein Junge mit Blick zu seinem Erzieher. Zahrt lächelt. Logisch weiß er es. „Hier“, sagt er, „sind sie galoppiert.“
* Namen der Kinder geändert
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