Klaus Wowereit: "Region kann auf Jobmaschine Flughafen nicht verzichten"
Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit sprach mit Berlin Maximal über die Perspektiven der Stadt in der Industriepolitik, ein Verkehrskonzept für den öffentlichen Nahverkehr und die Bedeutung des neuen Großflughafens BBI für die Region.
Herr Wowereit, seit Frühjahr 2010 gibt es den Masterplan Industrie. Wie viele Arbeitsplätze wollen Sie in diesem Sektor in die Hauptstadt holen?
Möglichst viele, das ist doch klar. Ich will mich aber nicht daran beteiligen, wie andere möglichst hohe Zahlen zu versprechen. Fest steht, dass seit 2006 rund 100 000 neue Arbeitsplätze entstanden sind. Ich möchte, dass wir diesen gegenwärtig sehr positiven Trend bei der Zunahme der Zahl von Arbeitsplätzen und Erwerbstätigen verstetigen und fortsetzen. Berlin hat die Krise besser als andere überstanden, und ich bin sicher, dass unsere Arbeit für mehr neue Ansiedlungen und Gründungen weiter Früchte tragen wird.
Wie wollen Sie den Nachwuchs in der Region halten?
Das ist auch Aufgabe der Wirtschaft in der Region. Und es ist abzusehen, dass Unternehmen sich vieles einfallen lassen, um Auszubildende zu gewinnen, die Mangelware geworden sind. Wir stehen darüber hinaus einem strukturellen Mangel an Facharbeitern gegenüber. Anfang Februar wird hierzu im Steuerungskreis Industriepolitik ein „Pakt für Fachkräfte in der Berliner Industrie“ geschlossen. Ferner wird es für Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund einen „Masterplan Fachkräfte“ geben. Was das Land noch tun kann, ist eine gute Ausbildung an Schulen und Universitäten zu bewerkstelligen. Berlin bildet junge Leute weit über den eigenen Bedarf aus, und wir schaffen familienfreundliche Bedingungen. Das ist ein wichtiger Faktor für Nachwuchskräfte, um in der Stadt zu bleiben.
In Berlin gibt es einen großen Nachholbedarf bei Bau und Infrastruktur. Was werden Sie da tun?
Die finanziellen Möglichkeiten Berlins sind angesichts unserer Verschuldung sehr begrenzt. Dank des von Bund und Ländern finanzierten Konjunkturpakets haben wir bei der energetischen Sanierung vieles anschieben können. Und trotz dieser Finanzlage geschieht viel: Die neue U-Bahn-Linie 5 wird gebaut in der kommenden Legislaturperiode, und ich votiere auch klar dafür, die Autobahn A 100 zu bauen. Außerdem wird mit dem Willy-Brandt-Flughafen in den nächsten Jahren das größte Infrastrukturprojekt der Region sein Wachstumspotenzial entfalten. Trotzdem ist es richtig, dass wir nach wie vor einen sehr großen Investitionsbedarf haben.
Das Chaos im öffentlichen Nahverkehr dauert an. Brauchen wir ein neues Verkehrskonzept?
Für Wirtschaft, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kommt es darauf an, dass es ein funktionierendes Nahverkehrssystem gibt und wirtschaftliche Schäden möglichst gering gehalten werden. Aufgrund kurzatmiger Interessen mit Blick auf die Börse hat die Deutsche Bahn die S-Bahn auf Verschleiß gefahren. Wir brauchen einen Systemwechsel, damit klar ist, dass Bahn und S-Bahn nicht ständig ausgesogen werden dürfen. Beide haben einen Verkehrsauftrag. Wenn es da Defizite gibt, muss investiert werden, um diese abzubauen. Dafür machen wir Druck. Vielleicht sind die Hoffnungen berechtigt, dass der Bund als Eigner der Bahn endlich einsieht, dass er seine Verantwortung wahrnehmen muss.
Wie wollen Sie dem Mittelstand unter die Arme greifen?
Wir haben in der Berliner Wirtschaft eine positive Grundstimmung, und das gilt auch für den Mittelstand. Auch für ihn haben wir über die Investitionsbank Berlin abgestimmte Förderinstrumente entwickelt. Besonders wichtig ist dabei, die Kooperation mit Wissenschaft und Forschung voranzubringen.
Nach wie vor nennen Kritiker die Umweltzone nutzlos. Bleibt sie?
Ja. Es handelt sich um Bundesrecht, das Berlin zeitnah umgesetzt hat. Soweit ich weiß, hat nicht einmal der christdemokratische Bundesumweltminister vor, daran etwas zu ändern. Ich weiß, dass viele Fahrzeugbesitzer hier eine Last zu tragen hatten, aber das ist für eine gute Sache. Die „Berliner Luft“ ist für uns alle ausschlaggebend für die Lebensqualität. Niemand hat versprochen, dass uns die Umweltzone umgehend erstklassige Luftqualität verschafft. Aber es ist absurd, deshalb auf diese Maßnahme zu verzichten.
Kommt die Bettensteuer?
Es gibt im Senat solche Überlegungen, und wir führen darüber Diskussionen, die aber noch nicht zu ausgereiften Konzepten geführt haben. Uns steht zunächst die neue Luftverkehrssteuer ins Haus, deren Wirkungen zu einer gewissen Verlangsamung des Wachstum der Zahl der Flugpassagiere und damit des Touristenstroms führen werden. Hier ist behutsames Abwägen gefragt.
Skeptiker glauben nicht daran, dass der BBI internationales Drehkreuz wird. Gleichzeitig bauen viele Betriebe auf den Flughafen. Was werden Sie tun, um diese Interessen zu stützen?
Ganz deutlich Kurs halten. Es hat über viele Jahre im Abgeordnetenhaus einen Konsens darüber gegeben, dass der Willy- Brandt-Flughafen ein Single-Airport werden wird – dass er also der alleinige Flughafen für die Region sein wird anstelle der bislang drei Airports – und dass er damit auch Funktionen eines Umsteigeflughafens übernehmen kann. Die jüngst angestoßenen Debatten gehen weit dahinter zurück und haben zu unverantwortlichen Irritationen geführt. Die Region kann auf die Jobmaschine Flughafen nicht verzichten, an uns sind Ansiedlungen genug vorbei gegangen und in München oder Frankfurt gelandet, weil Berlin nicht genügend internationale Flugverbindungen anzubieten hatte. Damit muss Schluss sein! Deshalb unterstützen wir Air Berlins Bemühungen, Hub-Funktionen aufzubauen, und deshalb haben wir auch Lufthansa kritisiert, die sich dagegen entschieden hat.
Mit wem wollen Sie koalieren?
Ich kämpfe dafür, dass die SPD eindeutig stärkste Kraft wird, damit wir verhandeln können, um den Partner auszuwählen, mit dem wir unsere Ziele am besten verwirklichen können. Wir müssen aber den Abend des 18. September abwarten, um zu sehen, mit wem es reichen könnte.
Die Fragen stellte Constance Frey für Berlin Maximal
Zur Person: Klaus Wowereit (57, SPD) ist Regierender Bürgermeister Berlins und Spitzenkandidat der Sozialdemokraten