Flüchtlinge in Berlin-Hellersdorf: Rechtspopulisten wollen in Linkenhochburgen demonstrieren
Der gefürchtete Knall blieb vorerst aus: Die nur spärlich aufgetauchten Neonazis sind am Dienstagabend wieder abgefahren, die Unterstützer hingegen harrten noch vor dem Heim in Hellersdorf aus. Heute werden sich Rechts und Links wieder gegenüberstehen - in der ganzen Stadt.
Es war kurz vor Mitternacht, da saßen noch hunderte Unterstützer der rund 80 Asylbewerber in der alten Schule in Hellersdorf draußen auf dem Rasen, spielten Geige und Gitarre und aßen Kekse. Noch kurz zuvor hatte es nahe dem Alice-Salomon-Platz, auf dem den ganzen Abend gut zwei Dutzend NPD-Anhänger eine Kundgebung abgehalten hatten, tumultartige Szenen gegeben. Vor allem junge Leute – Linke, Ökos, Autonome – hatten zwischendurch den Kleinbus der Neonazis umzingelt und wollten ihn nicht abfahren lassen. Es flogen auch Flaschen. Als einige Rechtsextreme in die Straßenbahn sprangen, stellten sich auch hier Aktivisten vor die Tram, die ebenfalls kurz stoppen musste. „Wir kriegen Euch alle“, hatten die Protestierenden gerufen. Schließlich ratterte die Tram dann doch friedlich davon.
Stundenlang hatten mehrere hundert Teilnehmer der von SPD und den Linken angemeldeten Gegendemo gegen die Neonazis demonstriert, standen nur durch zahlreiche Polizisten von ihnen getrennt in der Riesaer Straße, kurz vor dem Alice-Salomon-Platz. „Refugees are welcome“, stand auf Plakaten. Manche skandierten „Gegen Deutschland!“, beleidigten auch Polizisten, sieben Personen wurden vorübergehend zur Erfassung der Personalien festgenommen. Am späten Nachmittag flogen auch schon Geschosse in Richtung der Rechtsextremen, aber da war es noch zusammengeknülltes Papier. Als die NPD-Hetzer anfingen, ins Mikro zu reden, wurden sie von den vielen jungen Leuten mit Geschrei und Trillerpfeifen übertönt.
Es war der denkwürdige Auftakt einer ganzen Reihe von Demos von Rechts und Gegendemos der Mitte und von Links auch am heutigen Mittwoch, anlässlich der Debatte um die Menschen aus Syrien, aus Afghanistan, vom Balkan. Sie suchen in Deutschland Schutz vor Verfolgung und vor Bürgerkrieg – und müssen sich nun in dem tristen Hellersdorfer Plattenbau hinter den mit Stoff abgehängten Fenstern verstecken. Sicherheitsdienste und die Polizei bewachen die Flüchtlinge, darunter auch Familien mit Kindern, rund um die Uhr. Manche der Menschen verstehen gar nicht, dass die vielen jungen Leute vor der Tür an ihrer Seite stehen wollen, sie denken, es seien Demonstranten gegen Asylbewerber und haben Angst vor ihnen. Das Gebäude wird flankiert von NPD-Plakaten: „Guten Heimflug“ steht da, und: „Maria statt Scharia“ – drum herum Blumenrabatte, Sonnenschirme, Vogelhäuschen.
Der Flüchtlingsrat berichtete sogar davon, dass mehrere Asylbewerber bereits am Montagabend das Heim in Panik verlassen hätten. Sie hätten ihr Hab und Gut in blaue Müllsäcke verpackt und seien in eine Auseinandersetzung zwischen Polizei und Rechten geraten. Die Polizei bestätigte lediglich, dass es einen Einsatz in einem Lokal gegeben habe, ein Rechter sei festgenommen worden. Angriffe auf Flüchtlinge habe es nicht gegeben. Rafaela Kienle, die als Mitglied der Grünen in der BVV massiv von der rechtspopulistischen Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf bedroht wurde, sagte: „Es ist richtig, dass am Montag mehrere Flüchtlinge versucht haben, das Heim zu verlassen. Offenbar fühlen sich manche dort sehr gefährdet.“ Ein Zeuge sah, dass in der Nacht zu Dienstag ein Stein auf das Lager der Unterstützer flog.
Am heutigen Mittwoch will die rechtspopulistische Partei „Pro Deutschland“ teils in Hochburgen der Linken demonstrieren. Da auch überall Gegendemos angemeldet sind, ist die Polizei am Mittwoch auf größere Einsätze vorbereitet. „Pro Deutschland“-Mitglieder wollen alle zwei Stunden woanders stehen – mit mindestens je 50 Leuten. Ab 9.30 Uhr bis 11.30 Uhr vor dem Flüchtlingsheim in Hellersdorf, ab 11.30 Uhr für zwei Stunden vor der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZAA) in der Turmstraße in Moabit, dann zwei Stunden lang an der Warschauer Brücke in Friedrichshain. Von 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr wollen Rechte zur Rigaer Straße Ecke Liebigstraße ziehen – der Hochburg der linksalternativen Szene. Und von 17.30 bis 19.30 Uhr gibt es Proteste im Görlitzer Park in Kreuzberg.
Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) warnte vor „Rattenfängern, denen es sowieso nicht um dieses Heim geht“. Bei Gesprächen „mit Anwohnern ohne Presse und angereisten Rechtsextremisten war die Atmosphäre gut“. Viele Anwohner stören nun vor allem der Medienrummel und die vielen Demos. Einige Nachbarn wollten Heim und Besucher kennenlernen, sie kamen nicht rein.
Wenn es darum geht, ausländerfeindlichen Aktionen entgegenzutreten, sind sich die Politiker aller demokratischen Parteien einig. Ansonsten wird über die Ereignisse in Hellersdorf und die Berliner Flüchtlingspolitik kritisch, teilweise sogar konträr diskutiert. So hat Sozialsenator Mario Czaja (CDU) mit Blick auf die kommenden Tage vor „Unruhe“ gewarnt, die das Einleben von Flüchtlingen in Berlin erschwere. Rechtsradikale Demagogen würden sich in Szene setzen, dabei habe sich an den meisten Standorten von Flüchtlingsheimen in der Stadt gezeigt: Das Miteinander im Alltag gelänge, die Anwohner sollten allem ein wenig Zeit geben.
Vorwürfe, wonach er zu spät über die Flüchtlingsunterkünfte informiert habe, konterte Czaja mit dem Verweis, dass dies Aufgabe der Bezirke sei. „Sie kennen die Akteure vor Ort.“ Dennoch müsste sich gerade ein Sozialsenator zu den betroffenen Menschen begeben, sagte Grünen-Landeschefin Bettina Jarasch: „Herr Czaja und andere Landespolitiker müssen sich dem schwierigen Dialog mit Anwohnern stellen. Und rechtzeitig informieren.“
Beim Streit um das Heim in Hellersdorf habe das Bezirksamt rechtzeitig informiert, meint Czaja, aber nicht damit gerechnet, dass sich, auch durch angereiste Rechtsextreme, eine derartige Stimmung aufbaue. Der Senator erklärte wiederholt, er werde das Recht der Flüchtlinge auf eine Unterkunft durchsetzen. Inzwischen klappe auch die gerechtere Verteilung der Asylsuchenden auf die Bezirke.
Innensenator Frank Henkel (CDU) sprach von einem „Gebot der Menschlichkeit“, Flüchtlingen, die aus Krisenregionen kommen, Unterstützung anzubieten. Henkel kritisierte ebenfalls, dass das Flüchtlingsthema derzeit von politischen Parteien missbraucht werde. „Das betrifft rechtsextreme Kampagnen in Marzahn-Hellersdorf, aber auch die rechtswidrigen Zustände am Oranienplatz. Beides verstellt den Blick auf die Herausforderungen, denen wir uns in Berlin tatsächlich stellen müssen“, sagte Henkel.
Eine Gleichsetzung von Unterstützern des Flüchtlingscamps mit der NPD sei „eine grobe Entgleisung des Innensenators“, kritisierte Udo Wolf, Fraktionschef der Linken. Anstatt „beleidigende Vergleiche“ zu ziehen, sollte Henkel schnell ein Verbot der NPD- und Pro-Deutschland-Aufmärsche in der Nachbarschaft der Flüchtlingsunterkunft in Hellersdorf prüfen. „Eine rassistische Veranstaltung direkt vor der Tür von neu angekommenen Flüchtlingen stattfinden zu lassen, ist unverantwortlich“, sagte Wolf. Es gebe „keinen rechtlichen Ansatz für ein Verbot“, hieß es aus der Innenverwaltung.
Auch Oliver Höfinghoff, Fraktionschef der Piraten, bezeichnete die Kundgebungen als „untragbar“: „Wenn wir solche rechtspopulistischen Demos schon ertragen müssen, dann nicht in der Nähe von Flüchtlingsheimen“. Der Senat müsse „harte Auflagen“ stellen.
Der Wahlkreisabgeordnete der SPD für Marzahn-Hellersdorf, Sven Kohlmeier, setzt auf konkrete Arbeit vor Ort. Um Ängste vor den vermeintlich Fremden abzubauen, will er im Heim eine Begegnungsstätte für Anwohner und Flüchtlinge einrichten.