Furcht vor Randale, BVV abgesagt: Räumungsprozess gegen „Liebig34“ unterbrochen
Der Prozess um das Hausprojekt in der Rigaer Straße ist vertagt worden, dem Richter wird Befangenheit vorgeworfen. Das Auto eines Anwalts ist beschädigt worden.
Der Prozess am Landgericht Berlin über die Räumungsklage des Hauseigentümers Gijora Padovicz gegen die Bewohnerinnen des selbst erklärten „anarcha-queer-feministischen“ Hausprojekts „Liebig 34“ in Friedrichshain ist am Donnerstagmorgen abgebrochen worden. Grund dafür ist ein Antrag des Anwalts, der dem Richter Befangenheit vorwirft, weil der nur maskuline Sprachformen nutze. Er sei daher gegenüber einem Verein, der einen "Schutzraum vor Cis-Männern" bieten will und Geschlechtergerechtigkeit propagiert, möglicherweise nicht unvoreingenommen.
Darüber muss nun die Kammer entscheiden. Die Entscheidung soll am 30. April um 9.30 Uhr verkündet werden. Die Kläger haben ein Versäumnisurteil beantragt. Sollte der Befangenheitsantrag abgelehnt werden und ein Versäumnisurteil fallen, wäre dieses theoretisch sofort vollstreckbar. Das heißt, theoretisch könnte dann kurzfristig geräumt werden.
Allerdings, erklärte der Anwalt der "Liebig 34", Moritz Heusinger, richte sich der aktuelle Räumungsprozess gegen den Verein "Raduga", der bisheriger Mieter des Hauses in der Liebigstraße war. Aktueller Halter des Hauses sei aber der Verein "Mittendrinn", der zuvor einen Untermietvertrag mit "Raduga" gehabt haben soll. Ein Räumungsbescheid gegen den Verein "Raduga" wäre demnach laut Heusinger nicht gegen "Mittendrinn" vollstreckbar. Allerdings könne diese Frage kurzfristig in einem Eilverfahren behandelt werden.
Sollte der Räumungsbescheid am 30. April ergehen, kündigte Heusinger bereits an, Einspruch einlegen zu wollen. Außerdem könnte die Stimmung dann explosiv werden - schließlich ist am 30. April auch die Walpurgisnacht vor dem 1. Mai, die in der Vergangenheit von der linken Szene schon öfter für Aktionen auch in der Rigaer Straße genutzt wurde.
Eine Sprecherin des Gerichts erklärte außerdem, dass es bereits vor dem Prozesstermin Anzeichen für eine mögliche Eskalation gegeben habe. In der Nacht zum Donnerstag habe es einen Anschlag auf das Auto von Padoviczs Anwalt gegeben. Scheiben seien eingeschlagen und Buttersäure auf einem Kindersitz verspritzt worden, außerdem sei der die Motorhaube mit dem Schriftzug "Liebig 34 stays" in pink beschriftet worden. Ein Bekennerschreiben dazu ist am Donnerstag auf dem Szeneportal Indymedia veröffentlicht worden. Erst in der Nacht zu Dienstag waren auch die Geschäftsräume des Anwaltes angegriffen worden.
Vertreterinnen des Hausprojekts äußerten sich vor dem Gerichtsgebäude freudig über den Aufschub. Vor Ort zeigten sich Unterstützer und Unterstützerinnen zufrieden damit, dass die "Liebig 34" zumindest bis zum 30. April nicht geräumt wird.
Unterstützer der "Liebig 34" protestieren vor Gericht
Unterstützerinnen und Unterstützer des Hausprojekts hatten sich wie angekündigt am Donnerstagmorgen vor dem Landgericht Moabit eingefunden. Etwa 60 bis 100 Personen demonstrierten vor Prozessbeginn, laut Polizei waren 300 Menschen angemeldet.
Für die Zeit der Demo war die Turmstraße zwischen Rathenower Straße und Wilsnacker Straße für den Verkehr gesperrt, twitterte die Verkehrsinformationszentrale (VIZ). Die BVG-Busse der Linien 123 und 187 wurden zwischen U-Bahnhof Turmstraße und Quitzowstraße/Paulstraße umgeleitet.
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Die Polizeipräsenz vor Ort ist groß, auch weil der erste Prozesstermin abgebrochen werden musste: Es war im Gerichtssaal zu tumultartigen Szenen gekommen.
Bereits am Mittwoch demonstrierten Unterstützer vor dem Sitz der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg in der Yorckstraße. Zuvor hatten Unbekannte in der Nacht zum 27. Januar das Bezirksamt in der Frankfurter Allee mit dem Spruch „Liebig 34 bleibt – BVV muss weg“ besprüht und Fenster eingeschlagen.
Die BVV sei „mitverantwortlich für das kommende Räumungsfestival der spekulativen Immobilienblase“, heißt es in dem Bekennerschreiben auf der linken Onlineplattform Indymedia.org. Unterzeichnet wurde das Schreiben von dem „chaotischen Widerstand dieser widerlichen Stadt“.
Die Gruppierung droht unter anderem damit, dass die Büros von Senat und Bezirksamt „ebenfalls vom Stadtplan verschwinden“ würden, wenn „Liebig 34“ geräumt wird. Auch die Geschäftsräume des Anwaltes des Hauseigentümers wurden in der Nacht zu Dienstag attackiert.
Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg wird abgebrochen
Vor dem Hintergrund der Drohungen tagte die BVV am Mittwoch zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nach einer Stunde wurde die Sitzung jedoch unterbrochen und auf den 10. Februar vertagt.
Vor Beginn der Sitzung demonstrierten vor dem Rathaus etwa 150 Menschen, darunter Initiativen wie Bizim Kiez, 200Häuser und Deutsche Wohnen & Co enteignen „für aktiven Mieter*innenschutz“ und solidarisierten sich mit Baustadtrat Florian Schmidt. Vor der angemeldeten Kundgebung hatten etwa 30 Initiativen dazu ein Statement unterzeichnet. „Wir begreifen den personalisierten Angriff gegen Florian Schmidt als Angriff gegen die Mieter*innenbewegung insgesamt und wir stellen uns deshalb gemeinsam dagegen“, heißt es in einer Pressemitteilung von Bizim Kiez.
Die angemeldete Kundgebung wurde von zwei Kontaktbeamten begleitet, fünf Mannschaftswagen waren vor Ort. Gegen Ende der Demo wurden lange Transparente ausgerollt, zum Beispiel mit der Aufschrift „Squat your local town hall. Freiräume werden erkämpft!“. Die Veranstaltung blieb friedlich.
"Das grenzt an Terror mit Absender"
Eine Vertreterin des Hauses „Liebig34“ sagte dem Tagesspiegel vor Ort: „Wir finden es ungerecht, dass wir bei der heutigen BVV kein Thema sind und wollen das zeigen“. Ein Sprecher von Bizim Kiez betonte gegenüber dieser Zeitung, die angemeldete Kundgebung habe keinen Zusammenhang zu den Themen rund um die „Liebig34“.
Dass die Räumungsklage abgewiesen wird, gilt als ausgeschlossen. Anwohner fürchten, dass die Situation im Kiez rund um die Rigaer Straße in den kommenden Tagen eskalieren könnte. „Das grenzt ja jetzt schon an Terror mit Absender“, sagte ein Anwohner. Er spricht von eingeschlagenen Fenstern und Schmierereien unter anderem im Namen der „Liebig 34“.
Anwohner der Rigaer Straße haben Angst
„Die tun sich keinen Gefallen, wenn sie die Nachbarschaft terrorisieren“, sagt er. Eine andere Anwohnerin, die seit über zehn Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt, erinnert sich an „bürgerkriegsähnliche Zustände“ in der Rigaer Straße.
„Keiner, der nicht hier wohnt, kann sich das vorstellen“, sagt sie. Es sei zwar seit rund einem Jahr etwas ruhiger geworden, aber aktuell sei die Stimmung sehr angespannt. „Ich wünsche mir, dass sie den Prozess verlieren“, sagt sie. „Ich wünsche mir das wirklich. Aber dann ist hier am kommenden Wochenende wieder Land unter.“