Berlin: Raubgut Gummiwaren
Ein Buch über die Enteignung des jüdischen Kondomfabrikanten Julius Fromm durch die Nazis
Wenn Julius Fromm es mit seinem Glauben ernst genommen hätte, wäre er nie zu einem erfolgreichen Unternehmer geworden. Empfängnisverhütung galt unter den Juden des russischen Städtchens Konin als schwere Sünde. Fromm, der mit seiner Familie nach Berlin ausgewandert war, scherte sich nicht darum und setzte seine Geschäftsidee konsequent um. Er war Kondomhersteller.
Falsch: Er war der Kondomhersteller schlechthin. Seine Firma Fromms Act avancierte in der Weimarer Republik zum Synonym für dieses Produkt und blieb es bis in die späten siebziger Jahre. Denn er war so mutig, dem Ding seinen Namen zu geben und für die Qualität zu bürgen. Damit unterschieden sich die „Frommser“ auch in dieser Hinsicht von der namenlosen und qualitativ minderwertigen Konkurrenz. Fromm hatte Erfolg und wurde reich. Aus dem Scheunenviertel zog die Familie in eine Villa nach Nikolassee.
Fromm hatte vor allem einen Wunsch: dank seiner Zielstrebigkeit, seines Fleißes und seines Engagements das Recht zu erwerben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen. Denn Berlin und Deutschland galten ihm und seiner Familie als Paradies, wo sie als Juden sicher leben könnten und obendrein nicht in einem Ghetto wohnen müssten. Mit der Staatsangehörigkeit hatte es schließlich 1920 geklappt – im zweiten Anlauf.
Den Autoren Götz Aly und Michael Sontheimer ging es aber nicht darum, eine bemerkenswerte jüdische Unternehmerbiografie zu erzählen. Wie der Untertitel ihres Buches zeigt, liegt ihr Fokus darauf zu zeigen, wie Fromm im Nazi-Deutschland alles verlor und nach dem Ende des Regimes auch nicht zurückerhielt. Das haben die beiden, versierter Historiker der eine, „Spiegel“-Redakteur der andere, aufwendig recherchiert und ebenso akribisch wie anrührend aufgeschrieben.
Fromm hatte 1937 resigniert und sich ins Londoner Exil begeben. Seine Fabrik in Köpenick, Musterbeispiel moderner Architektur im Stil der Neuen Sachlichkeit, wurde ihm genommen. Die Firma ging in den Besitz von Hermann Görings Patentante über. Aly und Sontheimer schildern jeden kleinen Schritt auf dem Weg zur völligen Enteignung und nennen jeden mit Namen, der sich am Vermögen der Fromms bereicherte: Beamte, Günstlinge der Diktatur und Ritterkreuzträger. Alle finden sich im Buch wieder: weil sie sich der Villa Fromms bemächtigten, die Einrichtung der Familie auf einer Auktion am Kottbusser Tor ersteigerten, die Bankschließfächer unter Brechung des Bankgeheimnisses öffneten. Aly und Sontheimer berichten, welche Schicksale die Familienmitglieder erleiden mussten, ob im Exil oder in Auschwitz. Parallel wird aufgelistet, welche Summen der Familie Fromm abhanden kamen. Zum Beispiel für die sogenannte Reichsfluchtsteuer oder die Judenvermögensabgabe. Alles Beträge, die in der Reichskriegskasse landeten.
Eines der traurigsten Kapitel spielt erst nach dem Ende des Krieges. Der Erbe von Görings Patentante stilisierte sich selbst zum Opfer des Nazi-Regimes, so dass Fromms Erben ihm 174 300 Mark überweisen mussten, damit die einst zwangsenteigneten Geschäftsanteile wieder in die Hände der Familie kamen. Besonders bitter ist hingegen das Kapitel, in dem die Ost-Berliner Funktionäre das Nazi-Opfer Julius Fromm als „kapitalistischen Ausbeutertyp“ mit „pronazistischer Einstellung“ charakterisierten und damit begründeten, weshalb das Fabrikgelände in Köpenick nicht rückübertragen werden könne. Julius Fromm musste das nicht mehr miterleben. Er starb nur vier Tage nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands.
— Götz Aly und Michael Sontheimer: Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 224 Seiten, 19,90 Euro.
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