Köpenick: Rahnsdorf - der weltschönste Ort
Peter Meyer und Dieter Hertrampf wohnen östlich des Müggelsees. Für die beiden Puhdys-Musiker ist Rahnsdorf der schönste Ort der Welt.
Peter Meyer muss aufpassen beim Ausparken, weil der Spreearm hinter seinem Garten winzig ist und sein Motorboot keinen Rückwärtsgang hat. Eine rote Flunder von VEB Müggelspree aus Grünau, Modell Lotus. „Mülltus“, hat Meyers Bandkollege Dieter Hertrampf beim Einsteigen geflachst, aber eigentlich liegen in dem sonnenmatten Bötchen mit aufgeschnallter Luftmatratze nur ein Strohhut, ein Werkzeugkasten, Spanngurte und ein Paddel. Mit dem käme Meyer nach Hause, falls der kleine Elektromotor ausfällt. Den wiederum hat er montiert, falls ihn der Original-Wartburg-Zweitakter im Stich lässt. „Ich bin ein Rückversicherer“, sagt Meyer. Die kaputte Tankanzeige ist für seine Verhältnisse schon ziemlich gewagt.
Der Kanal öffnet sich zu einer Bucht voller Seerosen und Schilf, die zwischen Großem und Kleinem Müggelsee liegt. Die beiden Puhdys machen jetzt ziemlichen Lärm, weil Meyer Gas gibt. Er will die Müggelspree hinauf bis zum Fischer von Rahnsdorf, direkt neben der BVG-Ruderfähre. „Wir sind ja viel rumgekommen“, sagt Meyer. „San Francisco, L.A., Sibirien. Aber das hier ist für mich der schönste Ort auf der Welt.“ Als er 1978 herzog, waren die Puhdys schon eine Riesennummer, durften auch in den Westen reisen. „Wenn ich gefragt wurde, warum ich nicht dableibe, habe ich gesagt, weil es in Rahnsdorf so schön ist. Das meinte ich auch so.“ Meyer ist mit 71 der älteste Puhdy, Hertrampf fünf Jahre jünger. Sie wohnen beide östlich des Müggelsees.
Manchmal fährt Meyer die Spree stromaufwärts bis nach Erkner zum Steakhaus. Weil er sonst wenig herumkommt in Köpenick, hat er Hertrampf dazugeholt. Der radelt zwei Mal pro Woche um den Müggelsee, frühstückt dann in der urigen Surferbar „Borkenbude“ am Strandbad und weiß auch die Mini-Brauerei zu schätzen, die sich in einem Pavillon zwischen Köpenicker Rathaus und Schlossinsel etabliert hat. „Die Gegend hier ist einmalig“, findet Hertrampf. Vielleicht könne man froh sein, dass viele West-Berliner das immer noch nicht bemerkt hätten und sich weiter um den Wannsee drängeln wie zu Mauerzeiten.
Andererseits ärgert es ihn, wie in Köpenick die Objekte in allerbester Lage verkommen: Der Müggelturm vergammelt seit 20 Jahren, obwohl ein befreundeter Musiker dem Bezirk nach der Wende sogar einen Neubau im Stil des hölzernen Originals spendiert hätte, das 1958 abgebrannt ist. „In Schmetterlingshorst an der Dahme kann man auch nicht mehr anlegen“, sagt Hertrampf. Das Ausflugslokal war jahrelang geschlossen, bevor es als Imbissbude auferstand. Einen Kilometer weiter ist das Gasthaus „Marienlust“ ein für alle Mal abgebrannt. Schräg gegenüber, in Grünau, stürzen die kaiserzeitlichen Ausflugslokale „Gesellschaftshaus“ und „Riviera“ wohl demnächst ein. Schätze, die zwar die DDR überlebt haben, aber die Wende nicht.
Hertrampf schippert mit seinem Boot gelegentlich die dreistündige Tour um die Müggelberge. Weil er nicht direkt am Wasser wohnt, liegt es im Hafen. „Wie oft warste dieses Jahr schon draußen?“, fragt Meyer? „Zwei Mal“, antwortet Hertrampf. „Siehste“, sagt Meyer, „ich hab schon einen ganzen Sommer hinter mir.“ Wenn er nicht allein zum Baden losbrummt, tuckert er mit seinem vierjährigen Enkel die fünf Minuten zum großen Sandstrand an den Kleinen Müggelsee. Hertrampf ist mit seinem Schiff schon bis nach Potsdam gekommen. Seit Jahren wolle er mit Familie und Freunden mal einen Bus mieten, um die Berliner Kieze und Locations abzuklappern. Meyer bleibt lieber am See. Am Wochenende sind sie ohnehin oft zu Konzerten unterwegs. Umso mehr genießt er die Rockerrente hier, wo nur der Haubentaucher schimpft – und vielleicht seine Frau, wenn sie müde von ihrer Nachtschicht als Krankenschwester kommt und er zu Hause lärmt. Dass bald mehr als 100 Flugzeuge am Tag von Schönefeld über den Müggelsee donnern sollen, findet er ärgerlich. Aber im Moment geht es ihm zu gut, um sich aufzuregen.
Stefan Jacobs