SPD-Fraktionschef in Istanbul: Raed Salehs Vision: 2030 eine Muslima als Kanzlerin
Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh spricht in Istanbul über Integration und Flüchtlinge – und versucht sich als Prophet.
Istanbul – Der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, spricht sich dafür aus, einen „europäischen Islam als Religion des Friedens und der Vielfalt“ stärker zu fördern. Vor Studierenden der Kultur-Universität in Istanbul erneuerte er am Dienstag seine Forderung nach einem Staatsvertrag mit den muslimischen Gemeinden in Berlin und deren Finanzierung durch eine Religionssteuer. Außerdem sollten die Gemeinden endlich „unabhängig von anderen Staaten werden“. Namentlich nannte Saleh die Türkisch-Islamische Union (Ditib). Deren Ablösung vom türkischen Staat sollte „gemeinsam gestaltet und langfristig angelegt“ werden. Mit der Unabhängigkeit der Ditib könne die Türkei dafür sorgen, dass sich der Islam „in Deutschland stärker beheimaten“ könne, sagte Saleh in seiner Rede. Er sprach vor etwa 120 Studierenden der Juristischen Fakultät. Die Rede kam sehr gut an, es wurde viel diskutiert über Fragen wie: Was ist europäischer Islam? Wie stehen Europa und Deutschland zur Türkei? Wie integriert man die Syrer?
Saleh rief die Muslime auf, gegen die Ideologien des Terrors aufzustehen. Dabei spiele die Türkei „als Demokratie eines muslimischen Landes“ eine Schlüsselrolle. Die Muslime dürften nicht schweigend akzeptieren, dass Terroristen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen. Denn wenn sich dieses Bild des Islams durchsetze, hätten Muslime in aufgeklärten Ländern keine Chance, sagte der SPD-Politiker, der als Kind aus dem Westjordanland nach Berlin kam und selbst muslimischen Glaubens ist.
Wer andere Menschen aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Volkszugehörigkeit verachte, schließe sich aus der Gemeinschaft aus, sagte Saleh. „Schutz für alle“, das sei eine zentraler Forderung für jede multikulturelle Metropole. Das gelte für junge Israelis, die nach Berlin kämen genauso wie für Frauen mit Kopftuch oder Menschen mit anderer Hautfarbe. Echte Integration brauche nicht nur Toleranz, sondern auch Akzeptanz. Eine Gesellschaft mit vielen Einwanderern sei kompliziert, aber diese Vielfalt mache auch ihre Stärke aus.
Deutsche Bürger mit türkischen Wurzeln seien heute Fußball-Weltmeister wie Mesut Özil, Parteichefs wie der Grüne Cem Özdemir und Regierungsmitglieder wie die Arbeitssenatorin Dilek Kolat in Berlin. Gegen viele Widerstände hätten sich die türkischstämmigen Migranten auch und gerade in Berlin erfolgreich integriert. Saleh appellierte an die türkische Regierung: „Bitte helfen Sie mit, dass Migranten nicht mental in der alten Heimat bleiben, sondern Teil der neuen Heimat werden.“ Als „stolze und gleichberechtigte Deutsche mit türkischen Wurzeln“.
Im übrigen lobte der SPD-Fraktionschef die Türkei, die bei der Aufnahme von Flüchtlingen Großes geleistet habe. „Diese Leistung wird vom Westen viel zu wenig anerkannt und zu wenig unterstützt.“ Die Kooperation zwischen Deutschland und der Türkei bei der Flüchtlingshilfe und dem späteren Wiederaufbau der von Krieg und Terror zerstörten Länder – wie Syrien und Irak - sei dringend erforderlich. Saleh bekannte sich ausdrücklich zur Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union, wenn auch als langfristiges Projekt. In Deutschland gebe es viele Politiker, die Istanbul und die Türkei „ganz in den Osten schieben“ wollten. Das halte er für falsch. Die Türkei sei immer ein europäisches Land gewesen, und gleichzeitig muslimischer Naher Osten. In dieser Scharnierfunktion liege ihr besonderer Wert. Und eine „starke säkulare Demokratie“ in der Türkei würde die gesamte Region inspirieren.
Für das Jahr 2030 entwarf Saleh vor den jungen Studierenden eine Vision: „Die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Hariye Bayar, eine gläubige Muslima, trifft sich in Ankara mit dem Ministerpräsidenten der türkischen Republik, Herrn Adnan Saad, einem aus Syrien stammenden Christen.“ Immerhin hätten beide Länder schon bewiesen, dass Frauen Regierungschefin werden können. Für alles weitere sei eine „starke und engagierte Integrationspolitik“ nötig.