Mahnwache gegen Gerichtsurteil in Berlin: Radfahrer getötet - Lkw-Lenker erhält Geldstrafe
Ein vorbestrafter Lkw-Fahrer überfuhr bei Rot einen schuldlosen Radfahrer. Gegen das milde Urteil wurde heute in der Turmstraße protestiert.
Ein ungewöhnliches Bild bot sich am Montagmittag vor dem Amtsgericht Tiergarten: Rollrasen, Blumen und ein weißes „Geisterfahrrad“ stehen auf dem Mittelstreifen der Turmstraße. Heinrich Strößenreuther und seine Helfer haben eine symbolische Grabstelle errichtet - für den 57-jährigen Radfahrer, der beim Überqueren der Müllerstraße in Wedding von einem Laster erfasst wurde und später im Krankenhaus an seinen Verletzungen starb. Im Februar 2014 war das. Das Amtsgericht Tiergarten hatte in der vergangenen Woche geurteilt: der Lkw-Fahrer hat fahrlässige Tötung begangen und muss 5250 Euro nebst Prozesskosten zahlen. Seinen Führerschein darf der Berufskraftfahrer jedoch behalten - für die knapp drei Dutzend Teilnehmer der Mahnwache ist das nicht nachvollziehbar.
Enttäuschung über die Berliner Justiz
"Es kann doch nicht sein, dass ein Lkw-Fahrer nach vier Sekunden über Rot fährt, einen Radfahrer tötet, und sich am Tag nach dem Unfall bereits wieder hinters Steuer setzen darf", sagt Heinrich Strößenreuther von der Initiative Clevere Städte. Die von ihm initiierte Aktion in der Turmstraße war weniger Demonstration als Trauerfeier, keine Transparente, keine Sprechchöre. Stattdessen Gespräche zwischen Ärger und Unverständnis unter den Anwesenden. "Ich erlebe selbst alle zwei Wochen Situationen, wo ich einen Unfall durch eigenes Zurückstecken verhindern muss", erzählte Anselm Peter. Für den 44-Jährigen wäre das Mindeste gewesen, dass dem Lkw-Fahrer die Fahrerlaubnis entzogen wird. Thomas Bores, 41, hätte sich auch eine härtere Geldstrafe gewünscht.
Nach vier Sekunden noch über Rot
Johanna Dickershoff ist der Meinung, dass grundsätzlich auf beiden Seiten oft verantwortungslos oder unvorsichtig gefahren wird. Einverstanden mit dem Urteil sind die 31-Jährige und ihr Freund Andreas Linß aber ebenfalls nicht. En Gefühl von Sicherheit auf dem Rad sei oft trügerisch, er erlebe selbst viele brenzlige Situationen. Sicher dürfte sich auch der 57-Jährige beim Überqueren der Mühlenstraße gefühlt haben - seine Ampel zeigte bereits ein paar Sekunden grün, als er losfuhr. Nach Angaben eines Prozessbeobachters stellte ein Sachverständiger in der Gerichtsverhandlung fest, dass der Lastwagen noch 75 Meter von der Ampel entfernt war, als sie auf Rot sprang. Als er den Radfahrer traf, soll sie seit mindestens vier Sekunden rot gewesen sein.
Nach dem Unfalltag wieder am Steuer
Nach Aussage eines Zeugen hat sich der Radfahrer sogar noch von seiner Frau verabschiedet, als die Ampel für ihn auf Grün gesprungen war. „Nicht die leichteste Stufe der Fahrlässigkeit“, habe die Richterin dem Opfer attestiert. Der Lkw-Fahrer habe nach eigener Aussage schon am Tag nach dem Unfall wieder hinter dem Steuer gesessen und arbeite weiter für dieselbe Spedition. Das Mahnmal auf der Mühlenstraße musste mangels Genehmigung nach einer halben Stunde wieder abgebaut werden - nur der Rollrasen und ein paar Blumen durften bleiben.
Berliner missachten oft ihre Ampeln
Nach Angaben der Innenverwaltung passierten im vergangenen Jahr in Berlin 658 Verkehrsunfälle mit Personenschäden, weil jemand eine rote Ampel missachtete. 470 davon hätten Fahrzeugführer verursacht, 188 Fußgänger. Die Polizei hat im vergangenen Jahr 52.352 Verfahren wegen Rotlichtverstößen eingeleitet. Allein die 18 stationären Rotlichtblitzer im Stadtgebiet registrierten mehr als 29.000 Rotfahrer.