zum Hauptinhalt
Im Gespräch. Daniel Alter erläutert Mitarbeitern der Amadeu-Antonio-Stiftung das Judentum.
© Vincent Schlenner

Ein Jahr nach dem antisemitischen Angriff: Rabbi Daniel Alter: "Ich hätte das Datum fast vergessen"

Vor einem Jahr wurde Rabbi Daniel Alter in Berlin-Friedenau angegriffen und brutal niedergeschlagen. Fast hätte er das Datum vergessen. Dabei hat die Prügelattacke sein Leben verändert - durchaus auch zum Positiven.

„Wie war das mit Lilith, der ersten Frau Adams?“, fragt eine Zuhörerin. Der Rabbi zögert nur kurz: „Na ja“, sagt er dann diplomatisch, „es wird erzählt, dass sie rausgeschmissen wurde, weil sie sich dem Adam nicht unterwerfen wollte“. Er schmunzelt: „... in jeder Hinsicht.“

Rabbiner Daniel Alter hat gerade einem guten Dutzend junger Leute vom Judentum erzählt. Fröhlich, entspannt und spannend – die jungen Leute haben gebannt zugehört. Sie arbeiten für die Amadeu-Antonio-Stiftung, die gegen Rechtsextremismus im Alltag kämpft. Amadeu Antonio war das erste Opfer rassistischer Gewalt nach der Wiedervereinigung. Im November 1990 wurde der Angolaner von etwa 50 rechtsextremen Jugendlichen mit Baseballschlägern durch Eberswalde gejagt und so verprügelt, dass er nicht mehr aus dem Koma erwachte.

Auch der Rabbi wurde verprügelt, fast 22 Jahre später, im bis dato als gutbürgerlich geltenden Friedenauer Malerviertel: Am 28. August 2012 fragten vermutlich arabischstämmige junge Männer Daniel Alter vor seiner Haustür, ob er Jude sei. Als der damals 53-Jährige bejahte, schlugen sie auf ihn ein. Mit Fäusten auf den Körper und ins Gesicht, ohne Rücksicht auf die kleine Tochter, die ihn begleitete.

Offensive nach dem Angriff

Die brutalen Schläger brachen dem Rabbiner das Jochbein, ihn konnten sie nicht brechen. Im Gegenteil: „Bis zu diesem Überfall hatte ich mich, was Antisemitismus anbelangt, resigniert zurückgezogen. Mir eingeredet, dass es nicht so schlimm sei und dass man nichts dagegen tun könne“, sagt Alter. Die feige Attacke, die Sorge um sein zumindest seelisch verletztes Kind, aber auch die vielen Beweise von Mitgefühl, Solidarität und Toleranz durch Nachbarn, Freunde und Fremde hätten ihn aufgerüttelt. Daniel Alter ging in die Offensive, stellte sich der Öffentlichkeit, gab Interviews, warb trotz allem für ein friedliches Miteinander. „Das war meine Form der Auseinandersetzung mit den Tätern“, sagt er. „Ich konnte ja schlecht mit denen in den Boxring steigen, zumal sie nie ermittelt wurden. Aber das Engagement für Dialog, Vernunft und Aufklärung gegen stumpfsinnigen grundlosen Hass – das war meine Art zu kämpfen.“

Daniel Alter suchte sich Verbündete – auch unter Muslimen, Christen, Atheisten. Er ging in Schulen, sprach auf Veranstaltungen. Ende 2012 wurde er zum Beauftragten gegen Antisemitismus und für den interreligiösen Dialog der Jüdischen Gemeinde ernannt. In diesem Amt hat der Rabbi so viel zu tun, dass er ganz erstaunt war, als ihn Journalisten in den vergangenen Tagen auf den „Jahrestag“ des Überfalls ansprachen. „Ich hätte das Datum glatt vergessen“, sagt er: „In meinem Kopf hat sich das längst gejährt. Irgendwie hatte ich es um den 18. August herum angesiedelt, aber auch an diesem Tag überhaupt nicht daran gedacht.“

Natürlich habe das auch damit zu tun, dass seine beiden Töchter, vor allem die Siebenjährige, die bei dem Überfall dabei war, zum Glück nicht traumatisiert wurden. Und dass seine Frau zu ihm halte. Ein Zugeständnis muss er ihr nach wie vor machen: Auf der Straße trägt er seine Kippa – vor allem wenn die Kinder dabei sind – unter einem Basecap verborgen.

Engagiert gegen Antisemitismus und Rassismus

In der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, wo Daniel Alter ein Büro im Centrum Judaicum hat, braucht er das Basecap natürlich nicht – wenn auch nur dank der Polizisten vor der Tür und der strengen Einlasskontrolle. „Ich glaube nicht, dass der besorgniserregende Antisemitismus in Deutschland abgenommen hat“, sagt der Rabbiner: „Ich kann Ihnen die vielen Drohbriefe und Schmähschreiben, die jüdische Einrichtungen in ganz Deutschland erhalten, zeigen. Sie liegen auf meinem Schreibtisch.“ Allenfalls sei allgemein etwas mehr Sensibilität für das Thema feststellbar.

Und genau deshalb wird Daniel Alter nicht nachlassen, sich gegen Antisemitismus und Rassismus zu engagieren. Und immer wieder auf die kleinen Schritte setzen, wenn er beispielsweise vor einer Berufsschulklasse steht und ihm dumpfe Vorurteile entgegenwabern. Das hat er mit den Aktiven der Amadeu-Antonio-Stiftung gemeinsam. „Manchmal gibt es Momente der Frustration“, sagt er: „Aber alles in allem hat der Überfall viel Gutes in mein Leben gebracht. Auch zum Beispiel den palästinensischen Psychologen Ahmad Mansour. Wir sind richtig gute Freunde geworden.“

Zur Startseite