Extrabreit spielt in Berlin: Punker mit Promille
Die alten NDW-Recken von Extrabreit verhökern jetzt ihr eigenes Bier. Sänger Kai Havaii schmeckt es. Am heutigen Dienstag spielten die Jungs im Wintergarten.
Hilfe, müssen die fertig sein. Peinlich, was alte Rockruinen sich so ausdenken, um irgendwie noch eine müde Mark abzugreifen. Jetzt verticken die gut abgehangenen Neue-Deutsche-Welle-Recken von Extrabreit auch noch ihr eigenes Pils. Und spielen am kommenden Dienstag im Rahmen ihrer traditionellen Weihnachtsblitztour mal wieder in Berlin. Aber nicht in einem anständigen Indie-Club wie weiland 2008, als sie im „Kato“ auftraten, sondern im gesitteten Wintergarten Varieté. Das ist für eine Garagenrockband, die vor bald 35 Jahren aus der linken Spontiszene der NDW-Brutstätte Hagen – siehe Nena, siehe Humpe-Schwestern – hervorging, eine recht merkwürdige Location. Schließlich waren Extrabreit in den Achtzigern erst mal dreckiger Punk, bevor sie mit Hits wie „Polizisten“ und „Hurra, hurra, die Schule brennt“ Pop und damit kommerzkompatibel wurden.
„So einen Laden, wo an weiß eingedeckten Tischen getafelt wird, wollten wir uns auch mal geben“, fasst Frontmann Kai Havaii den Entschluss der durch die Anfrage nur kurzzeitig irritierten fünfköpfigen Combo zusammen. „Das wird für uns, was der Caesar’s Palace in Las Vegas für Alice Cooper war!“ Nur Extrabreit-Pils gibt es an der Bar in der Potsdamer Straße nicht. Das wird bislang nur in ausgewählten Clubs in Hagen oder Hamburg und per Onlineorder ausgeschenkt. Zum Konzertwerbetermin hat Kai Havaii natürlich einen Sechserpack zum Vorkosten für den noch zu erobernden Osten der Republik dabei.
Beim Einschenken produziert der im April 1957 als Kay Schlasse geborene Sänger erst mal nichts als Blume. Kann ja gar nicht anders sein, denkt man, bei einem notorischen Schaumschläger, wie ihn der Band-Großsprecher in den Achtzigern mimte. Doch der schiebt den Schaum auf die Physik. „Liegt am Transport“, sagt er und beteuert, dass das Extrabreit-Bier kein Merchandising-Gag sei. „Es ist ein ernst zu nehmender Beitrag zur deutschen Bierkultur“, den die im Ruhrgebiet ja quasi mit Gerstensaft aufgezogene Truppe da leiste. Ein einfaches Pils mit Charakter finde man ja kaum noch, analysiert Havaii den Markt. Also gründete die Band mit Freunden einen kleinen Bierverlag und entwickelte ein eigenes Rezept. Gebraut wird das Getränk, das mit einem Totenschädel des auch als Cartoonzeichner aktiven Havaii dekoriert ist, allerdings nicht in Hagen, sondern in Hamburg bei Holsten. Havaii jedenfalls schmeckt es. „Süffig und leicht herb“, sagt er und reicht das Glas mit dem goldgelben Getränk zum Probieren rüber. Stimmt, irgendwie ehrlich und nicht ganz so norddeutsch bitter wie „Jever“. Trotz des leicht erhöhten Alkoholgehalts von fünf Prozent hat der von der Band durchgeführte „Schädeltest“ zuverlässig einen normalen Brummschädel ergeben. „Ohne störende Nebengeräusche“, berichtet Kai Havaii.
Das ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um beiläufig einzustreuen, dass Extrabreit in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit zwar reichlich Alk und Drogen konsumierten, aber trotzdem nur nach einem dicken, fetten Filzer heißen. Kai Havaii selbst hat vor ein paar Jahren in seinem biografischen Roman „Hart wie Marmelade“ schön aufgeschrieben, wie sein Leben erst als Politaktivist, dann als Popstar der Achtziger verlief, der Duette mit Marianne Rosenberg, Hilde Knef und Harald Juhnke sang und später als Junkie fast an die Wand gefahren wäre. Muss einer, der diese Kurve gerade noch gekriegt hat, nun ausgerechnet Bier unters Volk bringen? Havaii grinst. Er sieht sich nicht als Drogenhändler. „Wir stecken uns schon längst keine Pülverchen mehr in die Nase, aber Chorknaben sind wir trotzdem nicht geworden.“
Tatsächlich verströmt der Mann Witz und Lässigkeit eines Musikers, der mehr als eine rauschende Berg- und Talfahrt hinter sich gebracht hat. Das ist ja gar keine Rockruine, sondern ein selbstironischer Typ, der die Musik nicht mehr als allein selig machend ansieht. Havaii, der nach sieben Jahren im von ihm stets als Moloch empfundenen Berlin inzwischen im beschaulichen Hamburg lebt, arbeitet auch als Autor und Produzent von Fernsehdokumentationen wie „Terra X – Deutschland von oben“. Dass er mit der Band immer noch live auftreten kann, macht ihn froh. „Für uns ist das eine Zugabe.“ Und bei Zugaben ist niemals mit musikalischem Avantgardismus zu rechnen. Brüllsänger Havaii, Bandgründer Stefan Kleinkrieg und ihre drei Kollegen an Gitarre, Bass und Schlagzeug pflegen unverdrossen ihren alten Gitarrenrock mit Punkdrive und spielen neben neuen Songs wie „Ewigkeit“ auch gern die alten Lieder. Ein Feierabendprojekt angeknitterter Herren wollen die Bierverleger ihre Musik aber trotzdem nicht nennen. „Das ist unsere Kunst, unser Ding“, ruft Kai Havaii.
Übrigens ist Kai Havaii solo durchaus schon mal im Wintergarten aufgetreten. 1993 war das. Da hat er als Laudator – angeödet von der endlosen Zeremonie und voll des süßen Weines – die Echo-Verleihung an Sängerin Sandra vergeigt und stattdessen Kollegin Nicole als Gewinnerin ausgerufen. „Hinterher wollte mir Sandras Mann, der Produzent Michael Cretu, die Fresse polieren“, erzählt Havaii, „zum Glück hatte ich mich aber backstage schon irgendwo schlafen gelegt.“ Ja, der Dämon Alkohol und das Rock-’n’-Roller-Latein – das sind zwei alte Brüder.
Wintergarten, Potsdamer Straße. 96, Tiergarten, Dienstag 11.12., 20 Uhr, ab 24,90 Euro
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