Tötungsdelikt in Neukölln: Prozess zum Mordfall von 1987 hat begonnen
Lange Zeit war es ein "Cold Case", ein ungelöster Fall: Mehr als 31 Jahre nach dem Mord an einer jungen Mutter sitzt ein 60-jähriger auf der Anklagebank.
Der jüngste Sohn von Annegret W. hatte alles mit ansehen müssen. Zwei Jahre alt war er, als seine Mutter in der Wohnung der Familie umgebracht wurde. Mehr als 31 Jahre später saß er am Dienstag dem mutmaßlichen Mörder im Gerichtssaal gegenüber. In einem Fall, der jahrzehntelang als „Cold Case“, als ungelöst galt. Eine am Hauskleid des Opfers gefundene DNA-Spur konnte laut Anklage einem polizeibekannten Mann zugeordnet werden: Klaus R., heute 60 Jahre alt.
Bis zur Urteilsverkündung könnten Monate vergehen
Zwei der drei Kinder von Annegret W. saßen als Nebenkläger im Saal 217 des Landgerichts, als die Verhandlung gegen R. begann. Für die 89-jährige Mutter der Getöteten sagte ein Rechtsanwalt, sie werde voraussichtlich zur Urteilsverkündung kommen. Bis dahin aber werden wohl Monate vergehen, denn ein Geständnis gibt es nicht.
„Der Angeklagte weist die Vorwürfe zurück“, erklärte einer der Verteidiger. Die Beweislage sei „dürftig“. Im Zentrum stehe eine DNA-Mischspur. „Wie und wann die Spur an das Kleid gelangte, ist offen. Sie könnte von einem Dritten übertragen worden sein.“
Annegret W. wurde am 18. September 1987 in ihrer Wohnung in Neukölln angegriffen. Der Täter habe sich zwischen 10.30 Uhr und 13.15 Uhr Zutritt zur Wohnung verschafft, heißt es in der Anklage. Er habe die 30-Jährige vergewaltigen und berauben wollen. Er habe sie attackiert und auf das Bett gestoßen, den sexuellen Angriff jedoch plötzlich „aus einem unbekannten Grund“ abgebrochen. Aus Angst vor Entdeckung und einer Strafverfolgung habe er die dreifache Mutter getötet.
Der Täter nahm einen Pullover und schlang ihn mehrfach um den Hals der Frau. Er habe die Enden fest zugedrückt. Schließlich habe er aus der Küche ein Messer geholt und der 30-Jährigen fünf Mal in den Hals gestochen. Vor den Augen des zweijährigen Jungen. Als der sechsjährige Bruder aus der Schule kam, fand er die tote Mutter.
Technischer Fortschritt ermöglichte Auswertung
Viele Hinweise gingen bei der Polizei ein. Eine heiße Spur aber gab es nicht. Und der Zweijährige vermochte als Zeuge nicht zu helfen. Bruchstückhaft habe er berichtet – seinem Alter entsprechend. Im März 1991 stellte die Mordkommission die Ermittlungen schließlich ein.
24 Jahre vergingen, bis den alten Akten wieder Leben eingehaucht werden sollte. Die für die Bearbeitung ungeklärter Tötungsdelikte zuständige Dienststelle des Morddezernats im Landeskriminalamt rollte den Fall Annegret W. erneut auf. Man setzte auf den technischen Fortschritt bei der Auswertung von kleinsten Spuren vom Tatort. Mitte November 2018 dann die Meldung: Mord aus dem Jahr 1987 durch aktuelle DNA-Untersuchung aufgeklärt.
Die herausgefilterte DNA am Kleid der Getöteten ging an die Zentrale Datenbank des Bundeskriminalamtes. Sie führte zum Profil von R., dessen genetischer Fingerabdruck nach mehreren Gewaltverbrechen aus den 80er Jahren eingespeist worden war. Die Vorstrafen sind inzwischen – entsprechend den Fristen – aus dem Bundeszentralregister gelöscht worden.
Bei den Hinterbliebenen von Annegret W. löste die Nachricht vom „Treffer“ Freude aus und zugleich Trauer. Alles war wieder da. Nun hoffen sie auf Gerechtigkeit. Führt eine kleine Spur zum Täter? Rund 30 Jahre ist es her, dass erstmals in Deutschland ein Mörder anhand von DNA-Spuren überführt wurde. Es handelte sich um einen Bruder von Klaus R., gegen den 1988 lebenslange Haft verhängt wurde. Der Prozess geht am Freitag weiter.