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Gedenken an die ermordeten Jungen
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Update

Silvio S. vor dem Potsdamer Landgericht: Prozess um Mord an Mohamed und Elias beginnt

Warum mussten Elias und Mohamed sterben? Der Prozess gegen Silvio S. soll ab heute Antworten liefern. Der Angeklagte wird wohl zunächst schweigen.

Wenn sich an diesem Dienstagmorgen vor dem Potsdamer Landgericht eine Menschentraube bildet, wird Silvio S. längst im Gebäude sein. Hereingebracht durch das Tor zur Tiefgarage auf der Rückseite, dort unten wartet er in einer geschützten Kammer, bis er kurz vor zehn Uhr über eine Treppe hinauf in Saal 8 geführt wird.

Der ist am Vortag extra umgebaut worden, eine verschiebbare Stahlwand trennt ihn nun vom Rest des Gerichts. Sämtliche Prozessbeobachter werden intensiv kontrolliert. Auch die Mütter von Elias und Mohamed müssen sich nach Waffen, Wurfgeschossen und anderen gefährlichen Gegenständen abtasten lassen. Dies alles für den Fall, dass irgendjemand auf eigene Faust versucht, die Verbrechen zu rächen, die hier verhandelt werden.

Sieben Monate nach der Festnahme beginnt in Potsdam der Prozess gegen Silvio S., den Mann, der sowohl den sechsjährigen Elias aus Potsdam-Schlaatz als auch den vierjährigen Flüchtlingsjungen Mohamed getötet haben soll. Beide Taten hat er bereits gestanden, gleich am Abend seiner ersten Vernehmung. Die Frage wird vor allem sein: Ist der heute 33-Jährige überhaupt schuldfähig?

In der Anklageschrift, Aktenzeichen 486. Js 41311/15, sind die mutmaßlichen Tathergänge detailliert nachgezeichnet. Während Teile bereits öffentlich wurden, sind die Motive von Silvio S. weiter unklar. Die Staatsanwaltschaft glaubt, er habe die Jungen umgebracht, um vorherige Verbrechen zu decken: die Entführungen, gefährliche Körperverletzungen und im Fall von Mohamed auch schweren sexuellen Missbrauch.

Silvio S. wird wohl zunächst schweigen

Der Angeklagte selbst wird sich am ersten Verhandlungstag sehr wahrscheinlich nicht zu den Vorwürfen äußern. Das sagte sein Anwalt Mathias Noll am Montag dem Tagesspiegel. Stattdessen sind für Dienstag sechs Zeugen geladen, darunter die Mutter von Elias sowie Anwohner, die den Sechsjährigen kurz vor seinem Verschwinden am 8. Juli vergangenen Jahres beim Spielen im Sandkasten beobachtet haben. Silvio S. soll Elias verschleppt und noch in seinem Auto erdrosselt, die Leiche später in einem angemieteten Schrebergarten in Luckenwalde vergraben haben.

Mit der Tötung von Mohamed, den er Anfang Oktober auf dem Areal des Lageso in Moabit entführt, ins Haus seiner Eltern nach Niedergörsdorf im Kreis Teltow-Fläming mitgenommen und erst am nächsten Morgen getötet haben soll, wird sich das Gericht an einem der folgenden Verhandlungstage befassen. Insgesamt zwölf sind zunächst angesetzt. Die Eltern des Angeklagten werden ebenfalls als Zeugen geladen. Sie sind auch deshalb wichtig, weil sie womöglich Auskunft darüber geben können, ob sich Silvio S. vor seiner Festnahme der Polizei stellen wollte. Vergangenen Oktober hatte es zunächst geheißen, die Mutter habe ihren Sohn angezeigt, nachdem sie ihn auf Fahndungsbildern erkannt hatte. Später stellte die Frau klar, ihr Sohn hätte sich ohnehin der Polizei stellen wollen. Dass sie dem mit ihrem Anruf zuvorgekommen sei, begründete sie mit ihrer eigenen Angst, Silvio S. könnte sich das Leben nehmen.

Auch in der Untersuchungshaft in der JVA Brandenburg gilt der Angeklagte als suizidgefährdet. Dennoch sitzt er in Einzelhaft. Zu groß ist die Gefahr, Mitgefangene könnten ihn angreifen. Gewaltdrohungen gegen den mutmaßlichen Kindsmörder gab es in den vergangenen Monaten viele – sowohl im Gefängnis als auch außerhalb. Landgerichtspräsident Dirk Ehlert spricht von „mehreren Morddrohungen“, die auf Facebook und per Mail eingegangen seien. „Die Polizei erklärte mir, die Lage sei brenzlig.“ Deshalb werde er Dienstagfrüh persönlich auf dem Gerichtsgelände an der Jägerallee sein und etwa jedes unbefugt abgestellte Auto abschleppen lassen. „Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn etwas passierte, weil wir zu nachlässig bei den Sicherheitsvorkehrungen waren.“ Neben 24 Journalisten dürfen nur 30 Zuhörer dem Prozess beiwohnen. Zunächst hatte Ehlert überlegt, das Verfahren in einen deutlich größeren Saal zu verlegen. Dies hätte aber bedeutet, dass der Angeklagte nicht direkt von der Tiefgarage in den Verhandlungsraum, sondern zunächst über eine Freifläche hätte geführt werden müssen. Das Risiko wollte man nicht eingehen.

Der Angeklagte: Silvio S. auf dem Bild einer Überwachungskamera
Der Angeklagte: Silvio S. auf dem Bild einer Überwachungskamera
© picture alliance / dpa

Fehler bei den Ermittlungen?

Beobachter erhoffen sich vom Verfahren auch neue Erkenntnisse darüber, ob die Polizei bei der Suche nach den vermissten Jungen mit zweierlei Maß vorgegangen ist. Im Fall Elias wurde schon Stunden nach dessen Verschwinden eine bundesweite Fahndung eingeleitet, am nächsten Tag kamen ein Hubschrauber und Spürhunde zum Einsatz, später wurden große Freiflächen und Wälder abgesucht, Satellitenfotos analysiert, die Bundeswehr wurde um Hilfe gebeten, der Wasserspiegel eines Flusses abgesenkt und Schlamm ausgebaggert. Im Fall Mohamed beantragten die Beamten erst an Tag fünf nach der Entführung, die Bilder der Überwachungskamera am Haupteingang des Lagesos auswerten zu dürfen. Was Kritiker besonders ärgert: In beiden Fällen haben sich die Ermittlungen zwischenzeitlich auch gegen die Mütter der Kinder gerichtet – aber nur bei Mohamed habe dies dazu geführt, dass Nachforschungen in andere Richtungen vernachlässigt worden seien.  Polizei und Staatsanwaltschaft bestreiten das vehement.

Mohameds Mutter hatten Ermittler zunächst unterstellt, sie wolle mit dem Verschwindenlassen ihres Sohnes womöglich die eigene Abschiebung nach Bosnien verhindern. Diese droht ihr inzwischen nicht mehr. Innensenator Frank Henkel (CDU) stufte das Schicksal der Familie als extremen Härtefall ein.

In Trauer: Die Beerdingung des vierjährigen Mohamed.
In Trauer: Die Beerdingung des vierjährigen Mohamed.
© REUTERS

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