Rechte Gewalt in Brandenburg: Potsdam korrigiert die Opferzahlen nach oben
Bisher sind in der Brandenburg neun Todesopfer rechter Gewalt in der Polizeistatistik erfasst. Jetzt werden neun weitere Gewaltverbrechen nachträglich ebenso bewertet. Auch Berlin plant eine Neubetrachtung alter Fälle.
Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) lässt die Zahl der Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Brandenburg seit 1990 nach oben korrigieren. Zusätzlich zu den bisher offiziell neun in der Polizeistatistik registrierten will Schröter neun weitere Fälle nacherfassen. „Die Zahl der politisch rechts motivierten Tötungsdelikte wird sich auf nunmehr insgesamt 18 erhöhen“, sagte der Innenminister am Montag. Die Zahl der bundesweit anerkannten Todesopfer rechter Gewalt von 64 auf 73. Der Tagesspiegel kommt nach den bisherigen Recherchen weiter auf 153 Tote.
Grundlage für die Entscheidung ist eine Studie des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ). Wie berichtet, kommt das MMZ zu dem Ergebnis, dass in neun bisher nicht anerkannten Todesfällen die Täter ein rechtsextremes oder rassistisches Motiv hatten. In vier Fällen fand das Forscherteam um dem Politikwissenschaftler Christoph Kope kein politisches Motiv. Bei sechs Fällen stellten sie eine rechtsextreme Gesinnung bei den Tätern fest, aber kein solches Motiv. Teils wegen fehlender Akten waren fünf Fälle nicht mehr aufzuklären. In fast allen 24 binnen zwei Jahren untersuchten Fällen kamen die Täter aus rechtsextremen Milieus.
Dietmar Woidke gab das Forschungsprojekt in Auftrag
2013 hatte der damalige Innenminister Dietmar Woidke (SPD), heute Ministerpräsident, das Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. Auslöser war der Schock über – laut Schröter – „Fehleinschätzungen und Versäumnisse der Sicherheitsbehörden“ angesichts der Mordserie des Neonazi-Terrortrios NSU. Schröter erinnerte an die Diskrepanz zwischen der offiziell anerkannten Zahl der Todesopfer rechter Gewalt und den Erkenntnissen des Tagesspiegels sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen. In Brandenburg war dieser Unterschied am höchsten.
Unter den neun nun anerkannten Todesopfer ist Belaid Baylal, laut Schröter ein besonderer Fall. Dar Asylbewerber war am 8. Mai 1993 in Belzig von Skinheads brutal zusammengeschlagen worden und erlitte schweren Verletzungen am Darm. Der fremdenfeindliche Hintergrund der Tat ist gerichtlich festgestellt. Belaid Baylal starb im November 2000 an den Spätfolgen der Attacke. Jetzt wird auch er offiziell als Todesopfer einer rechtsextremen Gewalttat anerkannt.
Schröter sagte: „Manche Schilderungen der Tatabläufe lassen einen auch heute noch frösteln. Und manche damalige Einschätzung von Polizei und Justiz machen auch heute noch betroffen.“ Das Verdienst der Studie sei es, dass die Opfer dem „Vergessen entrissen werden“.
In Berlin ist ein ähnliches Projekt in Arbeit
Brandenburg könnte nun den Anstoß geben für eine vergleichbare Aufarbeitung in anderen Bundesländern. Bislang hatte etwa Sachsen-Anhalt Altfälle geprüft – allerdings nur polizeiintern. Zur Vorstellung der Studie hatten nun das Bundeskriminalamt und Mecklenburg-Vorpommern Experten entsandt. In Berlin ist ein ähnliches Projekt im Auftrag des Landeskriminalamtes in Planung.