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Ankunft der Flüchtlinge in Hellersdorf: Sie wurden von der Polizei geschützt.
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Update

Berlin-Hellersdorf: Ankunft der ersten Bewohner: Polizei schützt Flüchtlinge vor Heim-Gegnern

Nachdem die Flüchtlinge unter Polizeischutz am Montag in das umstrittene Heim in Berlin-Hellersdorf gezogen waren, blieb es ruhig in der Nacht. Zuvor war die Stimmung angespannt - ein paar linke Pro-Demonstranten hatten sich im Laufe des Tages eingefunden, um sie zu begrüßen - aber auch Gegner waren gekommen.

Fast heimlich sind sie in den leeren Plattenbau gezogen. Nach der angespannten Stimmung blieb es ruhig in der Nacht zu Dienstag, hieß es bei der Polizei. Seit Wochen wird um das Flüchtlingsheim in Hellersdorf gestritten. Am Montag sicherten Polizeiwagen das Gelände, wo ein paar Jungs auf BMX-Rädern zwischen den Plattenbauten hindurch fuhren, sonst waren in der Carola-Neher-Straße kaum Leute zu sehen. Die ersten Flüchtlinge aus Osteuropa und dem Nahen Osten brachten ihre Taschen in das Haus.

Wenig später sammeln sich zwei, drei Cliquen junger Mütter samt männlicher Begleiter. Aus einem Fenster lehnt sich ein Grauhaariger und murrt, dass „so viele Ausländer hier einfach“ nicht hinpassen. „Was machen wir nun?“, fragt ein blasser Mann mit Energydrink in der Hand. Seine Freundin zieht ihren muskulösen Hund an der Leine und sagt: „Kannste nüscht machen.“

Eine Ecke weiter brüllt ein korpulenter Mittdreißiger wegen der Linken rum, die gekommen sind, um die Flüchtlinge willkommen zu heißen. Und ein massiger Glatzkopf hebt den Arm zum Hitler-Gruß und wird vorläufig festgenommen. Am nahen U-Bahnhof Cottbusser Platz werfen Rechtsradikale schließlich Flaschen nach Linken, die Polizei schreitet ein. Die Linken hatten am U-Bahnhof tagsüber Flugblätter an Passanten verteilt.

Das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) hatte tagelang nicht verraten, wann genau die ersten Flüchtlinge in der umgebauten Ex-Schule in der Carola-Neher-Straße ankommen. Aus gutem Grund: Im Internet wurde gegen das Heim gehetzt, rassistische Parolen tauchten an Hauswänden auf, vor dem Haus hängen auch jetzt noch Wahlplakate der NPD, darauf steht: „Guten Heimflug“.

Dann gibt es noch die „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“, mit der man gern gesprochen hätte, die aber lieber anonym bleibt. Die umstrittene Bürgerinitiative gilt als gut informiert. Auf ihrer Internetpräsenz hieß es am Sonntag: „Wie uns aus höchst vertraulicher Quelle zugetragen wurde, werden morgen, also diesen Montag, die ersten Flüchtlinge einziehen“.

Mit dem Einzug der Flüchtlinge sind unzählige Beamte in diversen Behörden befasst, trotz Bemühungen von Lageso und Senat konnte der Termin wohl nicht geheim gehalten werden. Der ganz große Protest oder gar die befürchtete Pogromstimmung bleibt bis zum späten Montagabend aus. Gegen 22.30 Uhr stehen nur noch knapp zwei Dutzend Anwohner etwa 50 Meter vom Flüchtlingsheim entfernt auf der einen Straßenseite, auf der anderen Seite ist die Zahl der zumeist jungen Linken mit der Dämmerung auf knapp 100 angewachsen. Dazwischen steht die Polizei, vielleicht zwei Dutzend Beamte, die hoffen, dass es ruhig bleibt. Zusätzliche Kräfte sitzen in Polizeibussen, die überall im Kiez stehen.

Politiker der Linkspartei und der Piraten mischten sich zeitweise unter die linken Demonstranten, am Nachmittag schaute auch Grünen-Spitzenmann Jürgen Trittin und die Berliner Grünen-Chefin Bettina Jarasch vorbei. Ein Junge fuhr mit dem Roller durch die Menge, schien ein bisschen zu staunen, war ja auch ganz schön was los, in einem Kiez, in dem sonst nicht so viel passiert. Eine Frau mit Dreadlocks verteilte selbstgeschmierte Brötchen, es wurde über den Sozialstaat, Toleranz und Solidarität gesprochen.

Ein paar Empörte aus dem Viertel können offensichtlich mit „diesen Linken“ nicht viel anfangen. „Nazis sind wir aber nicht, auch wenn das alle Zeitungen schreiben“, sagte eine Frau, eigener Auskunft zufolge alleinerziehend. Und dann zählte sie auf, wann welcher Jugendclub und wann welche Sozialeinrichtung im Bezirk schließen musste. Sicher, in Hellersdorf gibt es viel zu tun, übermäßig viele Flüchtlinge leben hier aber nicht. So sind in Lichtenberg derzeit 1700 Frauen, Männer und Kinder untergebracht. Und die junge Mutter stellte sich mit Blick auf die Ex-Schule, in der nun die ersten Flüchtlinge wohnen, nach ein paar Minuten selbst die Frage: „Mein Gott, wie müssen sich die da drinnen jetzt vorkommen?“ Mit der Polizei, Kameras und Gebrüll vor der Tür.

In den kommenden Tagen wird das Lageso mit der Belegung fortfahren. Am Montag waren zunächst nur rund 20 Menschen angekommen. In den nächsten Monaten sollen 150, dann womöglich weitere 200 in einem anderen Heim in der benachbarten Maxie-Wander-Straße folgen. Der Flüchtlingsrat warnte angesichts der angespannten Situation vor einer weiteren Belegung des Hauses. Für Mittwoch haben Rechtspopulisten bereits eine Kundgebung vor dem Heim angekündigt. Die Initiative „Hellersdorf hilft Asylbewerbern“ will gegen Pro Deutschland protestieren.

Erst vor wenigen Wochen wurde das Bezirksamt von angereisten Rechtsextremen aber auch der aggressiven Ablehnung des Heims unter einigen Anwohnern überrascht. Im Juli hatte Bezirksbürgermeister Stefan Komoß (SPD) öffentlich sein Vorhaben erklären wollen, wohl kurz bevor es mit dem Umbau der Schule los ging: Bis zu 1000 Menschen kamen damals zu der Anwohnerversammlung, die Stimmung war gereizt. Die Polizei eskortierte stadtbekannte Rechtsextreme später zum U-Bahnhof. Für den gestrigen Abend hatte das Bezirksamt wieder zu einer Infoveranstaltung für Anwohner eingeladen, diesmal sollen dafür sogar persönliche Einladungen verschickt worden sein.

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