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Zerfetzte Jacke auf dem Sicherheits-Draht an der JVA Moabit: die Fahndung nach den zwei flüchtigen Häftlingen läuft auf Hochtouren.
© dpa
Update

Ausbruch in der JVA Moabit: Wachpersonal unterschätzte Alarm

Offenbar begünstigten Pannen die Flucht von zwei Häftlingen aus der JVA Moabit. Einer der Männer soll wegen Mordes vor Gericht stehen. Justizsenator Heilmann schließt Rücktritt aus.

Am Montagmorgen um 5.30 Uhr wurde für die Vollzugsbeamten der JVA Moabit der Alptraum jedes Schließers Wirklichkeit. Nach Angaben einer Sprecherin der Senatsjustizverwaltung entdeckte ein Angestellter, dass im ersten Stock der Teilanstalt Eins, Flügel D, behelfsmäßig zusammengeknotete Seile aus Bettlaken und Handtüchern aus zwei Zellenfenstern hingen.

Die Gitterstäbe vor den Fenstern waren durchgesägt, die Betten in den Zellen waren leer. Von den Bewohnern der Zellen – zwei Untersuchungshäftlingen – fehlte jede Spur. Die Männer hatten sich in den Hof herabgelassen und waren dann über mehrere Mauern hinweg und an einer Videokamera vorbei aus dem Gefängnis getürmt – ein filmreifer Ausbruch, den sich ein Drehbuchautor nicht besser hätte ausdenken können. Und darüber hinaus noch einer mit Seltenheitswert: Nach Auskunft der Senatsjustizverwaltung war es der erste erfolgreiche Ausbruch aus der JVA Moabit seit 15 Jahren.

Ein Ausbrecher steht unter Mordverdacht

Die Umstände des Ausbruchs versetzten am Montagmittag sogar Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) in Erstaunen. Er hatte kurzfristig einen Termin vor den Mauern des Gefängnisses anberaumt. „Ich habe es auch kaum geglaubt, als ich es erfahren habe“, sagte Heilmann und sprach von einer „Kombination aus sportlicher Leistung und glücklichen Zufällen“, die die Flucht ermöglicht hätten. Es brauchte eine ganze Kette dieser Zufälle, damit der Ausbruch der Kriminellen gelingen konnte – einer so langen Kette, dass es fast schon wieder unplausibel erscheint, nur von Glück auszugehen.

Die Häftlinge – laut Heilmann werden ihnen „erhebliche Straftaten“ zur Last gelegt – mussten den Ausbruch schon lange geplant haben. Nach Informationen des Tagesspiegels soll es sich bei einem der Geflohenen um Michael M. handeln, dem der Mord an dem Clubbetreiber Jochen Strecker am 3. März 2013 vorgeworfen wird. Michael M. wird derzeit der Prozess gemacht, für diese Woche war der 40. Verhandlungstag angesetzt.

Die Senatsjustizsprecherin bestätigte, dass einer der beiden Häftlinge wegen eines Tötungsdelikts in Untersuchungshaft saß; der andere war wegen eines Vermögensdelikts inhaftiert. In der Nacht zu Montag entschieden sich die Gefangenen, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Sie sägten die Gitterstäbe vor den Fenstern ihren Zellen durch. Wie sie an die dafür nötigen Werkzeuge kamen, ist unklar – offenbar nahmen die beiden die Gerätschaften aber mit: In den Zellen wurden nach Auskunft des Justizsenators keine Werkzeuge zurückgelassen.

Kletterpartie durch den Stacheldraht

Den Männern half der Umstand, dass ihre Zellen noch mit alten, leicht zu durchsägenden Gittern aus Stahl ausgestattet waren. Dann kletterten sie über einen rund 2,20 Meter hohen Sicherheitszaun und liefen zu einem anderen Gebäude, dass näher am Rand des Gefängnisgeländes lag. 

Dort zwängten sich die Männer zwischen die Häuserwand und die Doppelreihe aus NATO-Stacheldraht, die zur zusätzlichen Sicherung an der Fassade des Gebäudes angebracht ist. Sie kletterten vier Meter nach oben. Dann drückten sie mit ihrem Körpergewicht eine Lücke im Drahtgeflecht auf – was eigentlich unmöglich sein sollte. „Normalerweise ist der Stacheldraht mit einer Spezialsicherung befestigt“, sagte Heilmann – diese schien aber offensichtlich nicht verschlossen gewesen zu sein.

"Vor einiger Zeit haben an der Fassade Bauarbeiten stattgefunden“, sagte der Justizsenator. Möglich scheint, dass die Handwerker nach Abschluss der Arbeiten vergessen hatten, den Stacheldraht wieder richtig festzuschrauben. Doch selbst wenn das der Fall war – laut Heilmann „konnte man eigentlich gar nicht sehen, dass die Sicherung fehlte.“ Nachdem die Männer sich durch die Lücke gepresst hatten, kletterten sie auf das Flachdach eines Nebengebäudes, warfen einen mitgebrachten Pullover über den Stacheldraht der äußeren Gefängnismauer, überwanden dieses letzte Hindernis und verschwanden spurlos.

Wachpersonal ging von Fehlalarm aus

Ob die Männer bei der Flucht Hilfe von Außen bekamen, konnte der Justizsenator noch nicht sagen: „Wir haben keinerlei Anhaltspunkte für eine Hilfe von Außen, können das aber auch nicht ausschließen. Die Entflohenen haben offenbar eine Verkettung von Lücken im System gefunden.“ Auf ihrer Flucht lösten die Männer auch noch einen Alarm aus – dieser wurde laut einer Justizsprecherin gegen 2.50 Uhr bemerkt. Weil aber auf dem Monitor einer Überwachungskamera nichts zu sehen war, gingen die Justizvollzugsbeamten von einem Fehlalarm aus. In der gleichen Nacht hatte sich ein anderer Gefangener in seiner Zelle getötet – möglich scheint daher auch, dass das Gefängnispersonal zum Fluchtzeitpunkt mit dem toten Häftling beschäftigt war. „Wir sehen nach jetzigem Stand aber keinen Zusammenhang zwischen den beiden Vorfällen“, sagte Heilmann.

SPD-Rechtspolitiker kritisiert Justizsenator

Eine unabhängige Kommission externer Gutachter soll nun aufarbeiten, wie es zu der Pannenserie im Gefängnis kommen konnte. „Außerdem werden wir die Sicherheitsmaßnahmen in der JVA deutlich verschärfen“, so Heilmann. Einen Rücktritt von seinem Posten schloss Justizsenator Heilmann zunächst aus – was von Sven Kohlmeier, dem rechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, über Twitter kritisiert wurde. „Es sind schon Justizminister wegen weniger gegangen … sowas darf nicht passieren“, twitterte Kohlmeier am Montagnachmittag.

Die letzte erfolgreiche Flucht aus der JVA Moabit war einem 21-Jährigen im November 1998 gelungen. Damals hatte sich der junge Mann während einer Hofrunde versteckt und war dann auf das Gefängnisdach geklettert. Von dort hangelte er sich über die Außenmauer. Der Geflohene setzte sich nach Frankreich ab, wo er erst fünf Monate später festgenommen wurde. Polizei und Bundespolizei ermitteln nun unter Hochdruck, damit die zwei Flüchtlinge vom Montag nicht ganz so lange auf freiem Fuß bleiben.

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