Anschlagsserie im Regierungsviertel: Sorge um Sicherheit des Kanzleramts
Nach dem Brandanschlag eines Rechtsextremisten auf dem Gelände des Kanzleramts warnen Politiker aller Fraktionen vor einer Sicherheitslücke. Bundespolizei und Innenministerium können jedoch keine Panne erkennen.
Der Schaden war gering und ruft doch größere Sorge hervor. Bei dem Brandanschlag eines Rechtsextremen auf das Kanzleramt in der Nacht zu Donnerstag wurde nur ein Stück Mauer verrußt, aber dass die Tat im umzäunten und bewachten Gelände möglich war, erschreckt die Politik.
Nahezu wortgleich sprechen Abgeordnete aus Koalition und Opposition von einer Sicherheitslücke. „Wenn einer auf das Gelände des Kanzleramtes eindringen und einen Brandanschlag verüben kann, gibt es eine bedenkliche Sicherheitslücke“, sagte Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages, dem Tagesspiegel. Man werde das Sicherheitskonzept überprüfen müssen. Bosbachs Stellvertreter Frank Tempel (Linke) warnte, „es hätte auch ein Täter mit einem Sprengsatz sein können“. Der Innenausschuss werde beim Bundesinnenministerium einen Bericht anfordern.
Defizite in der Bewachung?
"Diese Sicherheitspanne ist bei der ganzen Videotechnik und dem vielen Wachpersonal unerklärlich", sagte Burkhard Lischka, Obmann der SPD-Abgeordneten im Innenausschuss des Bundestages. "Da müssen offensichtlich einige Leute im Tiefschlaf gewesen sein. Wir werden sicher nach der parlamentarischen Sommerpause Gelegenheit haben, diese Panne im Innenausschuss zu thematisieren." Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, hält es für „erklärungsbedürftig, wie jemand auf das Gelände vordringen konnte“. Es müsse geprüft werden, „ob es Defizite in der Bewachung gab“.
In der Nacht zu Donnerstag hatte ein 48-jähriger Mann, wie berichtet, mit einer Strickleiter den Zaun um das Kanzleramt überwunden und eine Brandflasche gegen die Außenwand des Kantinentrakts geschleudert. Außerdem legte er Flugblätter einer „Deutschen Widerstandsbewegung“ ab. Der Mann kletterte über die Strickleiter wieder raus und floh mit einem Fahrrad, wurde aber von Beamten der Bundespolizei auf der nahen Moltkebrücke festgenommen. Angela Merkel hatte sich nicht im Gebäude aufgehalten. Am Freitag schickte ein Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Tiergarten den Täter in Untersuchungshaft.
Lehrer gestand acht Brandanschläge
Der Mann aus Steglitz, nach Informationen des Tagesspiegels ein freiberuflicher Musiklehrer namens Ralph K., hat bei der Polizei acht Brandanschläge gestanden. Seit August 2014 hatte er in Berlin Gebäude mit besonderer politischer Bedeutung attackiert. Brandflaschen flogen gegen den Bundestag, gegen den Amtssitz des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue, gegen die CDU-Bundesgeschäftsstelle und nun auch gegen das Kanzleramt. Hier hatte er schon am 8. Juni versucht, über eine Strickleiter einzudringen, war dann aber verschwunden. Er habe „ein Zeichen setzen“ wollen, sagte K. im Verhör. An den Tatorten hatte er Flugblätter hinterlassen, in denen im Namen der „Widerstandsbewegung“ gegen Migranten gehetzt wird - in gestelzter Sprache. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass die „Widerstandsbewegung“ nur aus K. bestand.
Die Bundespolizei äußerte sich nur knapp zu einer Sicherheitslücke im Kanzleramt. „Der Beschuldigte befand sich nur wenige Sekunden auf dem Gelände des in Rede stehenden Schutzobjektes und wurde wenige Sekunden später festgenommen“, heißt es in der Mail des Bundespolizeipräsidiums. In einer internen Mitteilung ist jedoch von zwei Minuten die Rede, die der Brandstifter im Bereich des Kanzleramtes verbrachte. Außerdem wurde er erst bei einer Nahbereichsfahndung festgenommen.
Das Bundesinnenministerium kann ebenfalls keine Panne erkennen: "Die materiell-technischen und personellen Schutzmaßnahmen bei dem in Rede stehenden Vorkommnis haben innerhalb kürzester Zeit zur Ergreifung des Tatverdächtigen durch die Bundespolizei geführt", heißt es in einer Stellungnahme. Die Festnahme belege, "dass das vorhandene Schutzkonzept der Bundespolizei in diesem Fall erfolgreich angewandt wurde." Daher gehe das Ministerium davon aus, "dass keine Sicherheitslücke bestand. Unbeschadet dessen unterliegt das materielle und personelle Schutzkonzept einer ständigen Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung."
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