Ehemalige Eisfabrik-Bewohner: Obdachlose Bulgaren: Nach Nacht bei Verdi wieder auf Wanderschaft
Nach einer Nacht in der Verdi-Bundeszentrale sind die Bulgaren aus der Eisfabrik in die Parteizentrale der Linken gezogen. Auch hier dürfen sie aber nur eine Nacht bleiben. Wie es weitergeht, weiß noch niemand so genau.
Am Freitagmorgen war keinem der 23 Bulgaren klar, wohin sie ihre Odyssee führen wurde – am Nachmittag erklärte sich die Linke bereit, die Obdachlosen aufzunehmen. Nach einer Nacht in einem Sitzungssaal der Verdi-Bundeszentrale in Kreuzberg zogen die Bulgaren am Freitag weiter ins Karl-Liebknecht-Haus nach Mitte. In der Parteizentrale der Linken können die Bulgaren eine weitere Nacht verbringen. Über ihre Pläne für die kommenden Tage war am Freitag noch nichts in Erfahrung zu bringen, in der kommenden Woche soll es weitere Gespräche geben.
"Wir wollen ein Zeichen der Solidarität setzen, auch wenn wir nicht die Möglichkeit haben, das länger zu machen", erklärte Linken-Sprecher Thomas Barthel am Freitag. Laut Barthel wurde das Kommunikationszentrum im Erdgeschoss provisorisch für die Bulgaren hergerichtet. Allerdings werden die Räumlichkeiten laut Barthel am Wochenende für eine Veranstaltung gebraucht – deshalb müssen die Bulgaren am Samstag eine neue Unterkunft finden.
Auch die Gewerkschafter in der Verdi-Bundeszentrale in Kreuzberg sehen ihre spontane Hilfe als "normale Selbstverständlichkeit" an, wie eine Gewerkschafterin am Freitagmorgen sagt. Sie sitzt um kurz nach 7 Uhr mit einem Kaffee im Foyer des Hauses am Paula-Thiede-Ufer. Die ersten Kollegen trudeln ein, wünschen einen guten Morgen. Die Gewerkschafterin - ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen - begrüßt sie mit einem Kopfnicken. Sie selbst ist am Donnerstag gar nicht nach Hause gegangen, hat die Nacht auf einer Notliege verbracht. Maximal vier Stunden Schlaf sind für sie abgefallen, schätzt sie.
Verdi-Sprecherin: "Was wir hatten, haben wir zur Verfügung gestellt"
Der Grund für die unerwartete Nachtarbeit: Die 23 Menschen aus Bulgarien, die sich am Donnerstagvormittag gegen 11 Uhr mit einem Transparent und einigen Unterstützern vom "Bündnis Zwangsräumung verhindern" vor dem Gewerkschaftshaus einfanden und um Hilfe baten. "Was wir hatten, haben wir zur Verfügung gestellt", sagt die Gewerkschafterin. Es gab ein warmes Mittagessen und ein Abendbrot, in einem der Sitzungsräume wurde mit Isomatten und Schlafsäcken ein Lager für die Nacht aufgebaut. Nach einem gemeinsamen Frühstück und dem Versprechen, sie nicht mit ihren Problemen allein zu lassen, zogen die Bulgaren am Freitagmittag weiter.
Zuvor hatten sie jahrelang in direkter Nachbarschaft zu Verdi in einer still gelegten Eisfabrik gelebt – illegal und unter unhaltbaren hygienischen Verhältnissen. Nach der Räumung des Gebäudes, einem zehntägigen Hostelaufenthalt auf Kosten des Bezirkamts Mitte und einer Nacht bei Verdi wissen sie aber noch immer nicht so recht, wo sie in Zukunft hin sollen. In eine städtische Obdachlosenunterkunft wollen sie auf gar keinen Fall. "Zu viele Alkoholiker, zu viele Drogenabhängige", fasst der Dolmetscher die Ängste der Bulgaren zusammen. Sie gehören zur türkischen Minderheit, die meisten sprechen nur ein paar Brocken Deutsch. Es sind bis auf ein oder zwei Ausnahmen fast ausschließlich Männer. Gegen 7.30 Uhr sind die meisten auf den Beinen, es gibt Obst und belegte Brötchen zum Frühstück.
Im Hostel schlief Rasim nach zwei Jahren wieder in einem echten Bett
In der Heimat hätten sie auf dem Bau gearbeitet, sagen viele. Nicht wenige sind in einem Alter, in dem die meisten Deutschen langsam an die Rente denken – so wie der 59-jährige Zdravko Rasim. Der dreifache Großvater hat seine Heimatstadt Baltschik am Schwarzen Meer 2011 verlassen, um seiner Tochter nicht zur Last zu fallen. Acht Monate verbrachte Rasim nach seiner Ankunft in einer Obdachlosenmission. "Danach sagte man mir, ich müsse mich um mich selbst kümmern", sagt Rasim. Er schlief ein paar Monate in einem leeren Supermarkt in Lichtenberg, bevor er Anfang 2013 von seinen Landsleuten in der Eisfabrik erfuhr und hinzog. Auf dem Bau fand der 59-Jährige keine Arbeit, er lebt vom Flaschensammeln. "An den Wochenenden verdiene ich fünf bis acht Euro am Tag", sagt Rasim. Werktags laufe es aber wesentlich schlechter. Im Hostel schlief Rasim nach zwei Jahren wieder in einem echten Bett - in der Eisfabrik hatte er sich sein Lager aus alten Pappkartons gebaut. "Nach einer Nacht fühlte ich mich wie neu geboren", so Rasim. Er wünscht sich eine richtige Bleibe und Arbeit – beides konnte ihm Deutschland bislang nicht bieten. Trotzdem hat Rasim noch nicht aufgegeben: "Wenn Gott will, wird es klappen. Ich bin zuversichtlich", sagt er.
Auch ein oder zwei Paare sind unter den Obdachlosen. Medine Hasan, 54 Jahre, und ihr Mann Asem Kirov, 46 Jahre, stammen aus Varna. Beide haben in Bulgarien auf dem Bau gearbeitet, vor einem Jahr sind sie nach Berlin gekommen. "Erst haben wir auf der Parkbank geschlafen", sagt Kirov. Eine Verwandte, die bereits in der Eisfabrik lebte, habe sie dann dazugeholt. Mit Möbeln vom Sperrmüll haben sich die beiden ein Zimmer hergerichtet. Schön war es nicht in der Eisfabrik, sagt Kirov, "trotzdem sind wir nicht freiwiliig gegangen. Die Eisfabrik war unsere letzte Rettung." Ihre wenigen Habseligkeiten haben Hasan und Kirov am Freitagmorgen schon gepackt. Der Rest steht noch in der Eisfabrik. Wann die Sachen abgeholt werden können, muss noch mit dem Eigentümer geklärt werden.