Fall Sürücü: Keine Toleranz für Ehrenmorde
Der "Ehrenmord"-Prozess gegen die Brüder der getöteten Berliner Türkin Hatun Sürücü muss neu geführt werden. Die Politik begrüßt die Gerichtsentscheidung einhellig.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die Freisprüche im Prozess um den Mord an Hatun Sürücu für die beiden Brüder Alpaslan und Mutlu aufzuheben, ist bei Berlins Integrations- und Innenpolitikern durchweg positiv aufgenommen worden. Übereinstimmend begrüßten sie, dass das Landgericht jetzt noch einmal die Möglichkeit hat, die Hintergründe des Mordes genau zu klären.
Der Integrationsbeauftragte Günther Piening sagte, die Entscheidung zeige deutlich, dass in Deutschland rechtsstaatliche Grundsätze gelten und nicht die Regeln eines Familiengerichts. Das Urteil des Landgerichts habe im vergangenen Jahr Unzufriedenheit hinterlassen, da nicht alle Aspekte hinreichend untersucht worden seien. Ähnlich äußerte sich Integrationssenatorin Heidi Knake-Werner (Linke). Sie hoffe zudem, dass jetzt die Diskussion wieder aufgenommen werde, dass die Gesellschaft „Ehrenmorde“ und Zwangsverheiratungen nicht zulassen werde.
Sowohl der PDS-Abgeordnete Giyasettin Sayan als auch die deutsch-türkische Rechtsanwältin Seyran Ates sahen in dem BGH-Urteil ein wichtiges politisches Signal. Dieses werde weit in die islamische Community hineinreichen, sagte Sayan. Es werde deutlich gemacht, dass man willens sei, die Verantwortlichen für den Mord wirklich zur Rechenschaft zu ziehen. „Der Bundesgerichtshof hat gezeigt, dass deutsche Gerichte sich jetzt sehr genau mit dem Phänomen und der Wirklichkeit der Ehrenmorde auseinandersetzen“, sagte Ates, die nicht mit dieser Entscheidung der Leipziger Richter gerechnet hatte. Diese hätten jetzt aber festgestellt, dass die Beweisaufnahme beim Landgericht bezüglich der Tatbeteiligung der beiden Brüder nicht ausreichend gewesen sei. Es liege in der Natur eines Ehrenmordes, dass dieser in 99 Prozent der Fälle nicht von einem Einzelnen geplant und durchgeführt werde. „Es geht da um die gesamte Familienehre“, sagte Ates.
Auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) äußerte sich positiv: „Unabhängig von der konkreten Straftat, deren Beurteilung Sache des Gerichts ist, ist die Entscheidung ein politisches Signal dafür, dass bei überholten Ehrvorstellungen, die zu Straftaten führen, mit aller Konsequenz vorgegangen wird.“
Laut dem parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Frank Henkel, bietet ein neues Verfahren jetzt die Möglichkeit, dass alle Hintergründe der Tat geklärt werden und alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. „Für so genannte Ehrenmorde in unserer Mitte gibt es keine Toleranz“, sagte Henkel. Eine Parallelgesellschaft mit eigener Rechtsauffassung dürfe nicht geduldet werden. Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Bündnisgrünen, sagte, für „Ehrenmorde“ gebe es „weder eine kulturelle noch eine religiöse Rechtfertigung“. Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Faktion, Thomas Kleineidam: „Es geht hier nicht um Ehre, sondern um Mord.“
Noch ist nicht klar, welche Kammer des Landgerichts mit dem Fall betraut wird. Dies wird erst festgelegt, wenn die Entscheidung des BGH beim Gericht eingegangen ist. Es steht ebenfalls noch nicht fest, ob und wann die Staatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen die Brüder, die sich derzeit in der Türkei aufhalten, beantragen wird. Man werde jetzt genau die Begründung des BGH prüfen und dann entscheiden, welche Maßnahmen nötig seien, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Michael Grunwald. Während Mutlu Sürücü die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, hat sein Bruder Alpaslan einen türkischen Pass. Obwohl die Türkei das europäische Auslieferungsabkommen unterzeichnet hat, kann die Auslieferung türkischer Staatsangehöriger ohne die nähere Angaben von Gründen abgelehnt werden. Deutsche Staatsangehörige werden in der Regel ausgeliefert – manchmal auch unter diplomatischen Druck, wie es in Regierungskreisen heißt.
Im Prozess vor dem Landgericht waren die Sürücü-Geschwister Arzu und Emra als Nebenkläger aufgetreten. Ihre Rechtsvertreter waren gestern während der Revisionsverhandlung anwesend. Beide hatten sich dem Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft jedoch nicht angeschlossen. Arzu Sürücü hatte zudem das Sorgerecht für Hatuns Sohn Can beantragt. Das Vormundschaftsgericht lehnte im Dezember 2006 einen Antrag ab. Ende Juli war ihre Beschwerde beim Landgericht zurückgewiesen worden.
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