U-Bahnschläger: Es gab bessere Bilder von Torben P.
Für die Fahndung nach dem U-Bahnschläger Torben P. standen offenbar bessere Bilder zur Verfügung als das publizierte Tatvideo. Verstießen die Ermittler gegen Vorschriften zur Öffentlichkeitsfahndung?
Die Polizei hat das Tatvideo des U-Bahnschlägers Torben P. veröffentlicht, obwohl für eine Fahndung offenbar geeignetere Bilder des Verdächtigen am U-Bahnhof Friedrichstraße zur Verfügung gestanden hätten. Dies geht aus Antworten der BVG und der Polizei auf Anfragen des Tagesspiegels zu Details der Öffentlichkeitsfahndung nach der Tat am frühen Morgen des 23. April hervor. Die Ermittler könnten damit gegen Vorschriften zur Öffentlichkeitsfahndung verstoßen haben. Zuletzt hatte Staatsanwalt Rudolf Hausmann in seinem Plädoyer im Prozess gegen den wegen Totschlagversuchs angeklagten Torben P. vor dem Landgericht hervorgehoben, die Behörden hätten zum Zeitpunkt der Anordnung der Publikation um elf Uhr am Vormittag nur Zugriff auf das Tatvideo gehabt. Deshalb sei die den Angeklagten belastende starke Medienresonanz unvermeidbar gewesen. Allerdings existieren Aufnahmen unmittelbar vor der Tat, die das Gesicht des Verdächtigen zeigen. An diesem Montag wird das Urteil erwartet.
Torben P. war mit seinem Freund, dem mitangeklagten Nico A. gegen drei Uhr morgens am Karsamstag am U-Bahnhof Friedrichstraße aufgetaucht. Minutenlange Szenen aus verschiedenen Kameras zeigen die jungen Männer, wie sie sich vor den wartenden Fahrgästen produzieren. Schließlich münden die Szenen in den Streit mit dem späteren Opfer Markus P. vor einer Kamera, die auch das Tatgeschehen, die Tritte gegen den Kopf, aufzeichnet. Die millionenfach verbreiteten Aufnahmen hatten bundesweit Entsetzen und eine Debatte über Jugendgewalt ausgelöst, sie prägen auch das laufende Verfahren vor Gericht. Die Polizei war zunächst dafür kritisiert worden, Aufnahmen der Rangelei vor der Tat zurückgehalten zu haben.
Der Polizei zufolge hat der zuständige Abschnitt 32 in Mitte nach einer „Erstanforderung“ nur eine einzige CD erhalten. Diese habe das Kriminalkommissariat am Samstagmorgen gegen 8.45 Uhr übernommen. Darauf sei ausschließlich das veröffentlichte Tatgeschehen zu sehen gewesen. „Aufnahmen von anderen Kameras lagen zu Beginn der Öffentlichkeitsfahndung nicht vor.“ Nach Angaben der BVG jedoch habe die Polizei bereits um 3.48 Uhr insgesamt 21 Stunden Videomaterial von 22 Kameras angefordert, darunter auch von anderen Bahnhöfen entlang der U6, und dieses auch „umgehend“ erhalten, sagte Sprecher Klaus Wazlak.
Den Widerspruch erklärt die Polizei damit, die Erstanforderung und spätere Nachanforderungen von Videomaterial seien bei der BVG unter einem Aktenzeichen geführt worden; tatsächlich aber hätten weitere Datenträger – drei DVDs – der Polizei erst nach Beginn der Öffentlichkeitsfahndung vorgelegen. Anhand des BVG-Protokolls könnte der Eindruck entstehen, dass der Polizei um 8.45 Uhr das gesamte Material übergeben worden sei. „Dies entspricht aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten.“
Allerdings muss sich die Polizei auch nach diesen Angaben fragen lassen, warum es nach der Tat mehrere Stunden dauerte, bis man an erstes Material gelangt sein will, zumal die Ermittler die Dringlichkeit der Fahndung und die damit verbundene Zeitnot betonen. Auch hätte man bei einem ersten Sichten des Materials aus den Bahnhofskameras vor Ort schnell Bilder identifizieren können, die das Gesicht von Torben P. zeigen. Laut Strafprozessordnung dürfen Bilder von Beschuldigten nur mit richterlicher Erlaubnis und auch nur veröffentlicht werden, wenn die Identität eines Täters anders schlecht festgestellt werden kann. Nach Angaben der Moabiter Pressestelle hat eine Richterin am Vormittag der Veröffentlichung zugestimmt, ohne das Bildmaterial gesehen zu haben. Die Richter würden das Material nur selbst sichten, wenn – anders als hier – kein erheblicher Zeitdruck bestehe. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Simone Herbeth, sagte, die Videosequenz sei wegen des gegenüber Standbildern besseren „Wiedererkennungswerts“ ausgewählt worden. Die Vorschriften zur Öffentlichkeitsfahndung seien eingehalten worden.
Laut Gesetz sind zur Fahndung Ausgeschriebene allerdings „möglichst genau“ zu bezeichnen. Zudem gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der eine „sorgfältige Abwägung“ zwischen Strafverfolgung und den schutzwürdigen Interessen des Beschuldigten verlange. „Die spätere Resozialisierung des Täters kann durch unnötige Publizität seines Falles schon vor der Verhandlung erschwert werden.“ Gerade bei Internetfahndungen könnten die eingestellten Daten „weltweit abgerufen und verarbeitet werden“. Vor diesem Hintergrund hätte die Polizei in den Morgenstunden des 23. April vermutlich geeigneteres Fahndungsmaterial auswählen können – Zeit und Material dafür gab es.
Jost Müller-Neuhof
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