„Verletzt das Andenken an die Ermordeten“: Berliner Polizisten machen Liegestütze am Holocaust-Mahnmal
Sport von Beamten am Holocaust-Mahnmal könnte für sie dienstrechtliche Konsequenzen haben. Die Polizeipräsidentin entschuldigt sich. Was ist hier angemessen?
Liegestützen gehören bei der Berliner Polizei zum regelmäßigen Sportprogramm der Beamten. Am Pfingstwochenende trainierten zwei Polizisten ihre Brustmuskeln jedoch nicht in der Turnhalle, sondern auf einer Stele des Denkmals für die ermordeten Juden Europas mitten im Berliner Regierungsviertel.
Ein Video der Aktion, das der Boulevardzeitung “B.Z.” vorliegt, löste nun Entsetzen aus. Beide Beamten befanden sich im Dienst und tragen auf den Bildern Uniform. Die Männer sollen dem Abschnitt 26 des südlichen Teils von Charlottenburg-Wilmersdorf angehören und waren an diesem Tage für die Absicherung verschiedener Demonstrationen in Mitte eingesetzt, wie die “B.Z.” schreibt. Bei ihren Liegestützen sollen sich sich gegenseitig mit Handys gefilmt haben.
Wie die Zeitung weiter berichtet, soll der Vorfall den Vorgesetzten der beiden Männer bekannt gewesen sein. Dennoch habe es weder eine Aufarbeitung gegeben, noch sei das Video der Behördenleitung weitergeleitet worden.
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„Das ist unerhört“, kommentierte Lea Rosh, Mitinitiatorin des Mahnmals, in der „B.Z.“, die sportlichen Übungen. Der Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Uwe Neumärker, verwies auf die gute Zusammenarbeit mit der Polizei. „Umso fassungsloser bin ich“, sagte er. „Der Holocaust und die Verbrechen des Nationalsozialismus sollten ein Schwerpunkt der Ausbildung angehender Staatsdiener werden.“
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik bat im Namen der Behörde um Entschuldigung bei der Jüdischen Gemeinde und kündigte eine “dienstrechtliche Aufarbeitung” an. „Das Verhalten der Kollegen ist eine Missachtung dessen, wofür gerade dieses Mahnmal steht und entspricht nicht der Achtung, die ihm entgegengebracht werden muss und die ihm von der Polizei Berlin auch entgegengebracht wird“, teilte Slowik mit. „Es verletzt für mich zudem das Andenken an die Ermordeten.“
Der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin, Benjamin Jendro, sprach von einem “abscheulichen Verhalten der Kollegen” und fügte hinzu: “Diese unerklärliche Aktion verhöhnt den Genozid an Millionen Menschen und tritt die Werte, für die unsere Berliner Polizei steht, mit Füßen. Wir entschuldigen uns bei allen Opfern der Shoah.”
Respektlosigkeiten am Holocaust-Mahnmal gibt es oft
Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Szenen am Mahnmal, in denen sich Besucher und Passanten respektlos gegenüber der Bedeutung des Ortes verhielten. Besonders viel Aufmerksamkeit erregte in diesem Kontext das Projekt “yolocaust” des Aktivisten Shahak Shapira, der Social-Media-Bilder von Usern aus aller Welt sammelte, die sich in Wort und Schrift danebenbenahmen.
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Auf einem eigenen Blog veröffentlichte er die Beiträge und mixte sie mit historischen Aufnahmen von Leichenbergen aus Konzentrationslagern und Massengräbern der Nazis. Im Nachgang der Aktion meldeten sich alle zur Schau gestellten User und entschuldigten sich für ihr Verhalten. Daraufhin nahm Shapira die Sammlung vom Netz.
Für GdP-Sprecher Jendro sind die Sport treibenden Polizisten nun ein Zeichen dafür, dass es “selbst innerhalb der Polizei großen Nachholbedarf im Bereich Politische Bildung” gibt, wie er am Montag mitteilte.
Nicht alles ist verboten, aber auch nicht angemessen
Das Mahnmal, das 2005 zum Gedenken an die von den Nationalsozialisten ermordeten sechs Millionen Juden eröffnet wurde, besteht aus rund 2700 verschieden hohen, dunkelgrauen Betonblöcken. In der Besucherordnung ist nicht jegliche Nutzung der Steine explizit verboten. Untersagt sind Rennen, Lärmen, das Springen von Block zu Block, Rauchen und Alkoholkonsum. Manche Touristen verweilen auf dem Gelände zum Sonnen, Picknicken und für Handy-Selfies.
Der Architekt des Mahnmals, Peter Eisenman, hatte sich 2010 in einem Interview gewünscht, dass die Deutschen die Stelen als einen “ganz alltäglichen Ort annehmen”. Dass mit dem Begriff “alltäglich” jedoch die sportliche Betätigung von Hoheitsträgern des Staates auf dem Mahnmal gemeint ist, bezweifelt der Antisemitismusbeauftragte des Berliner Senats, Samuel Salzborn. “Alltag darf nicht mit Arroganz verwechselt werden”, sagte er dem Tagesspiegel.
Auch wenn das Denkmal selbst kein Ort der Verbrechen war, wie beispielsweise die Gedenkstätten ehemaliger Konzentrations- und Vernichtungslager, so sei es doch ein Ort, an dem man sich würdig verhalten solle, erklärte Salzborn. “Als ‚alltäglicher Ort‘ der Erinnerung sollte vielmehr begriffen werden, dass der ‚Alltag‘ in Deutschland die Erinnerung an die Shoah sein sollte.“ (mit dpa)