Berlin-Schöneberg: Angst im schwulen Kiez
Rund um den Nollendorfplatz häufen sich homophobe Überfälle. Täter sind oft Migranten. Die Szene ist aufgebracht und besorgt.
Bastian Finke spricht von „Wut“ und davon, dass „die Szene kocht“. Dabei ist der Berater des schwulen Opferhilfevereins und Überfalltelefons „Maneo“ sonst ein Mann der ruhigen Worte. Doch nach dem brutalen Überfall auf einen homosexuellen 23-jährigen Schöneberger in der Nacht zum vergangenen Mittwoch ist er aufgebracht und alarmiert. Er geht durch die vielen Bars und Läden rund um den Nollendorfkiez und verteilt Flugblätter, in denen zur Solidarität mit dem Opfer aufgerufen wird.
Der 23-jährige Berliner, der mit einem Freund unterwegs war, wurde beim Überfall lebensgefährlich verletzt. Die beiden wollten in die Bar „Bulls“. Doch auf der Eisenacher Straße wurden sie von fünf Osteuropäern angegriffen. Sein Freund holte Hilfe in der Bar. Der Helfer wurde ebenfalls verprügelt. Dann flüchteten die Täter – ohne etwas zu rauben. Ein weiterer Angriff ereignete sich in der Nacht zum gestrigen Sonntag. Kurz vor 24 Uhr wurde ein 42-Jähriger vor einem Lokal an der Kreuzung Fugger- Ecke Eisenacher Straße von einem 19-Jährigen schwulenfeindlich beleidigt.
Für Finke war der Fall vom vergangenen Mittwoch ein homophober Hassangriff. Wieder einmal. Denn gerade in der Ecke habe es schon häufiger Übergriffe gegeben. Die Polizei zählte im vorigen Jahr 48 Gewalttaten gegen Schwule. Doch die Dunkelziffer sei weitaus höher, sagt Finke. „Maneo“ sind allein 190 Fälle bekannt. Das Problem sei immer das gleiche: Die Opfer hätten häufig Angst, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Aus Scham, aus Resignation, aber auch aus Furcht vor den Folgen eines Strafverfahrens.
Der jüngste Übergriff habe das „Fass zum Überlaufen“ gebracht, sagt Bastian Finke im schwulen Buch- und DVD-Laden „Bruno’s“ in der Bülowstraße. In der Szene habe sich eine wachsende Gereiztheit breit gemacht, allein schon durch die alltäglichen Vorfälle, die passierten, ohne dass die Öffentlichkeit viel davon mitbekomme. Bruno’s-Mitarbeiter Pierre, 26, erzählt, dass erst kürzlich Unbekannte wieder die Scheibe eingeworfen hätten. Regelmäßig werde der Laden mit Eiern beworfen oder bespuckt. Dass die schwule Kundschaft Angst im Kiez habe, merke er daran, dass einige es neuerdings ablehnten, ihre Ware in Tüten mit „Bruno’s“-Aufdruck durch die Gegend zu tragen. „Die haben Angst, dann angepöbelt oder attackiert zu werden“, sagt Pierre.
Ein paar hundert Meter weiter sitzt Oliver Schneider, 40, in einem Ledersessel seiner Cocktail-Bar „Heile Welt“ in der Nollendorfstraße. Er höre oft von Gästen, was im Kiez alles passiert, ohne dass das bekannt wird. Schwule seien halt in der Wahrnehmung der Täter „leichte Opfer“. Nach dem Motto: Die wehren sich nicht, haben Angst und zeigen das nicht an. Doch warum passieren diese Vorfälle so häufig im bürgerlichen Kiez rund um den Nollendorfplatz? Ausgerechnet dort, wo die Szene zu Hause ist. Wo sich Bars, Kneipen und Restaurants reihen?
Schneider winkt ab. „Es sind ja nur bestimmte Straßenzüge hier gut bürgerlich“, sagt er. Die Krawall-Macher und Pöbler seien häufig die Kids aus den Jugendgruppen, die in den Sozialbauten an der Pallasstraße oder Bülowstraße leben. Jugendliche mit Migrationshintergrund, die ein „anderes Weltbild“ hätten. „Die haben hier schon häufiger die Tür im Laden aufgerissen und ,scheiß Schwule’ gerufen“, erzählt Schneider. Hier sieht Schneider auch einen Ansatzpunkt. Bei den Jugendlichen müsse mehr getan werden. „Durch gezieltere Arbeit von Streetworkern.“
Und was können die Wirte tun? „Ein Zaun um das Gebiet zu ziehen, kann nicht die Lösung sein“, sagt Schneider und lacht. Eine „Task-Force“ mit Zivilstreifenbeamten fände er nicht schlecht. Die Polizei allerdings betont, sie tue alles Erforderliche und schicke regelmäßig Zivilbeamte durchs Gebiet.
Doch die Täter seien nicht nur bei den Jugendgruppen zu suchen, sagt Finke. Der schwule Kiez mit Lokalen und Restaurants wie „Heile Welt“ oder „More“, die Leder-Lokale wie die „Scheune“ oder dem „New Action“ oder die Stricher-Kneipen wie das „Tabasco“ oder die „Blue Boy Bar“ ziehe Menschen an, die es darauf abgesehen haben, die Gäste zu bestehlen oder zu berauben. „Und so werden oft auch Männer überfallen, die auf dem Weg in eine Cocktail-Bar sind, aber irgendwo an einer der Stricher-Kneipen vorbeikommen“, sagt Finke.
„Genau aus diesem Grund gehe ich nachts nicht mehr allein durch den Kiez“, sagt Michael T., 54. Er sitzt in der Kneipe „K6“ an der Kleiststraße. „Ich kenne viele, die Angst haben“, sagt T. Was man tun kann? „Präsenz in der Öffentlichkeit zeigen“, sagt Michael T. Und jeden Vorfall bekannt machen.
„Aber bloß nicht Gegengewalt erzeugen“, wirft Maneo-Mitarbeiter Bastian Finke ein. In jedem zweiten seiner Beratungsgespräche werde er seit geraumer Zeit von Opfern gefragt, ob sie sich bewaffnen sollen. „Um Gottes Willen“, antworte er dann. Lieber Selbstverteidigungs- und Anti-Gewalt-Trainings absolvieren. Alles andere mache es nur noch schlimmer. Besser sei es, etwas „Konstruktives zu starten“, sagt er.
Finke weiß, wovon er redet. Er ist einer der Gründer des alljährlich im Juni stattfindenden schwul-lesbischen Stadtfestes. Er hat es 1993 mitinitiiert, nachdem einer seiner Mitarbeiter auf der gegenüberliegenden Seite vom „Hafen“, einer Bar in der Motzstraße, verprügelt wurde. Die anderen Schwulen vor der Kneipe seien nicht eingeschritten – aus Angst. Auch heute hätten viele schwule Wirte Sorge, dass ihr Laden ein schlechtes Image bekommt, wenn Gewaltvorfälle bekannt würden. Das sei das Problem: Viele Täter wüssten das genau. Und nutzten es aus.