CSD in Berlin: Politisch, aber sexy
Skurrile Parade, ernst gemeinte Botschaft: Der CSD macht Front gegen die Ausgrenzung Homosexueller. Und Hunderttausende sind dabei.
Philip D. Murphy lächelt ein bisschen unsicher in die Kameras von Dutzenden Fotografen. Der amerikanische Botschafter steht in der ersten Reihe der Demonstration zum Christopher Street Day. Auch die Blumenkette, die ihm jemand umgehängt hat, lässt ihn in seinem grauen Anzug nicht wirklich locker wirken. Aber Murphy lächelt tapfer weiter, auch als vom Lautsprecherwagen verlesen wird, wo auf der Welt Schwule noch verfolgt und teils mit dem Tode bedroht werden. Der US-Botschafter versteht kein Wort, er spricht kein Deutsch. Und doch ist sein Erscheinen selbst Teil der klaren Botschaft, die der 34. CSD in Berlin in diesem Jahr senden will: Dies ist nicht nur eine Party, die Fete macht Politik.
Angesichts der Menge an Demonstranten, wahlweise mit Dildos behängt, in Latex gezwängt oder als Hummeln verkleidet, lässt sich dieser Eindruck freilich schwer vermitteln. Daran ändern auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, Innensenator Frank Henkel und der britische Botschafter Simon Mc Donald nichts, die mit seriöser Miene ebenfalls neben Murphy stehen und den Umzug symbolisch eröffnen. Denn im Hintergrund wummern bereits die Bässe, warten Tausende darauf, dass endlich die blöde Blumenkette durchschnitten wird, damit die Party starten kann.
Bildergalerie: Der CSD in Berlin
Julia Degener läuft auf eben dieser Party-Demo mit. Schon das vierte Mal, sagt sie. „Aus politischen Gründen.“ Den Catsuit aus schwarzem Lack trage sie dagegen zum Spaß. „Mit ausgefallen Kostümen schocken wir die Leute nicht mehr.“ Der Christopher Street Day sei in Berlin ein Stück Normalität geworden. „Aber jetzt können wir die Aufmerksamkeit der Leute nutzen und für unsere Rechte demonstrieren.“ Die Gleichstellung eingetragener Partnerschaften mit der Ehe, keine soziale Ausgrenzung durch sexuell übertragbare Krankheiten. „Da gibt es auch in Deutschland noch viel Aufklärung zu leisten.“, sagt Degener. Das Feiern, „ihren Tag im Jahr“, lasse sie sich davon aber nicht vermiesen.
Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneberg (Linke) hat zum Christopher Street Day in Berlin die Rehabilitierung und Entschädigung von verurteilten Schwulen nach 1945 gefordert. Vor der russischen Botschaft demonstrierten die Feiernden gegen ein Gesetz, das gleichgeschlechtlichen Paaren in St. Petersburg und anderen Städten sogar das Händchenhalten verbietet.
Abseits der großen Paradestrecke, in der Nähe des Treptower Parks, wird nur demonstriert und nicht gefeiert: Der „Transgeniale CSD“ macht sich für die Rechte von Schwulen stark. Partystimmung kommt nicht auf. Das kann auch daran liegen, dass man zu Billy Idol nicht so unbeschwert tanzen kann wie zu Carly Rae Jepsen. Oder daran, dass der politische Gedanke im Vordergrund steht. Die aufwendigen Kostüme fehlen. Es gibt Kapuzenpullis und systemkritische Transparente: „Analverkehr statt Kapitalverkehr“ steht auf einem. „Der CSD hat seine Wurzeln in einem Aufstand, nicht in einer Feier“, sagt einer der Demonstranten. „Wir müssen weiter kämpfen.“
Auf der großen CSD-Parade erinnert dann auch Botschafter Murphy an den Aufstand schwuler Männer gegen Polizeiwillkür im Jahr 1969 in der Christopher Street in New York. Davon ist der heutige CSD denkbar weit entfernt. Tatsächlich ist er so beliebt, dass jeder auf der Welle der Akzeptanz mitschwimmen möchte. So werben homosexuelle Mitarbeiter der BVG für die Erweiterung der U5, der Dildo-King für mehr Interesse an Plastikpenissen. Und alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses für ihr politisches Programm. Der CSD braucht die Politiker nicht mehr, um ernstgenommen zu werden. Sie brauchen ihn.