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Wahlkampf verquer: Wo bei solchen Plakaten oben und unten ist, weiß kein Mensch.
© Jörg Carstensen/dpa

Berliner Wahlkampf: Politik ist kein Massagesalon!

Die einen Plakate sind unscharf, auf anderen steht einfach nur „Wohlfühlen“. Liebe Kandidaten der Abgeordnetenhauswahl, was wollt ihr uns mit diesen inhaltslosen Botschaften sagen?

Eigentlich bin ich die ideale Zielgruppe für Wahlwerbung. Fest davon überzeugt, dass man unbedingt zur Wahl gehen soll, aber parteilich nicht gebunden. Wie kommt es dann, dass ich mit wachsender Wut durch die Stadt fahre, wenn ich mir die Plakate zur Berliner Abgeordnetenhauswahl anschaue?

Das offensiv Nichtssagende der Posterbotschaften empfinde ich als Unverschämtheit. Wir leben in schwierigen Zeiten, zwischen maroden Schulen, potemkinschen Flughäfen und gefühlt ansteigender Terrorgefahr. Und was fangen die Kandidaten an mit meinen Steuergeldern, die ja unter anderem auch ihre Werbung finanzieren? Bieten sie in knappen, verständlichen Sätzen eine Ahnung davon, wohin die Reise gehen soll? Nichts da!

Den Spruch „Freilandhaltung auch für Großstadtmenschen“ würde ich eventuell einer feudalistischen Gutsbesitzerpartei zutrauen und mich in meinem republikanischen Selbstverständnis angegriffen fühlen. Tatsächlich stammt der Spruch von den ach so basisdemokratischen Grünen. Und als sei das nicht genug, klebt noch ein Hinweis drauf: „Große Koalition abwählen.“ Die CDU begibt sich auf dasselbe Niveau, auf den Plakaten der Konservativen klebt die Aufforderung: „Rot-Rot-Grün verhindern.“ Was für ein Kinderzirkus bitte soll das sein? Ätsch, bätsch, wir gewinnen, ihr nicht?

Unfreiwillig komisch ist der Spruch "Berlin bleibt fleißig"

Da wir gerade bei der CDU sind: Fährt man durch Reinickendorf, begegnet man Plakaten, auf denen in fetten Lettern steht: „Wohlfühlen“. Was bitte soll das denn bedeuten? Politik ist doch kein Massagesalon! Hat irgendjemand da draußen vor, auch mal ein bisschen zu arbeiten, wenn er gewählt wird?

Andere CDU-Plakate sind auf Türkisch beschriftet. Bei aller politischen Korrektheit würde mich doch die Übersetzung interessieren, am besten gleich auf dem Plakat. Zweisprachigkeit ist okay. Aber sind Poster, die einer Minderheit suggerieren, es sei völlig in Ordnung, kein Deutsch zu können, wirklich zielführend bei dem Versuch, rechtsradikalen Parteien das Wasser abzugraben?

Eine richtige Parteilinie ist bei der CDU auch nicht zu erkennen. In Reinickendorf werben manche ihrer Plakate mit der Aufschrift „Unser Frank“. Nur ist da nicht der Henkel abgebildet, sondern die aus nördlicher Sicht vielleicht bessere Alternative, nämlich Bezirksbürgermeister Frank Balzer. Die SPD wiederum zeigt auf ihren geheimnisvoll unscharfen Plakaten einen Politiker, der vor zwei Jahren noch nicht mal Favorit im Rennen um die Nachfolge des Vorgängers war, und schreibt dazu knapp: „Müller, Berlin“. Das ist wirklich die Höhe! Nicht weil mir der Spruch „Alles Müller oder was“ schon früher den Appetit auf eine bestimmte Milchreissorte verdorben hat. Nach der kurzen Zeit im Amt hatte dieser Kandidat doch noch gar keine Gelegenheit, sich zu einer Marke zu entwickeln, was in den großen Fußstapfen des Vorgängers schwierig genug ist. Wofür soll sein Name also bitte stehen? Nach guter alter Arbeiterparteimanier die Ärmel hochkrempeln und mal ein paar marode Schulklos reparieren? Ich verstehe es nicht, und es erklärt mir auch keiner. Unfreiwillig komisch ist da der SPD-Spruch „Berlin bleibt fleißig“.

Muss denn in der Politik immer nur taktiert werden?

Zwei Plakate haben mir halbwegs gefallen. Eins ist von den Linken, mit der Aufschrift „Oma Anni bleibt“. Leider ist das an mir ein bisschen verschwendet, weil ausgerechnet diese Partei nicht Gefahr läuft, von mir gewählt zu werden. Das andere stammt von der FDP: „Tegel muss bleiben“. Auch nicht der ganz große Wurf, aber wenigstens mal ein inhaltlicher Satz, den ich verstehe und dem ich mich anschließen kann.

Übrigens verringert es meine Wut nicht, wenn politisch kluge Köpfe mir entgegenhalten, Studien hätten ergeben, dass inhaltliche Werbung nichts bringt. Muss denn in der Politik immer nur taktiert werden? Ist niemand mal so stolz auf konkrete Ziele, dass er sie aller Welt mitteilen will?

Bislang sehe ich in diesem Wahlkampf nur eine Gemeinsamkeit – quer durch die Bank. Die Parteien, egal welcher Richtung, wollen mich von der Urne fernhalten. Warum, das bleibt ihr Geheimnis. Aber die oft beängstigend hohe Zahl der Nichtwähler zeigt, dass ihre Strategie leider aufzugehen scheint.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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