Pflegedienste: Pflege in der WG: Viele Patienten sind schlecht versorgt
Private Sozialdienste arbeiten bisher unkontrolliert. Trotz sich häufender Beschwerden sind die Wohngemeinschaften noch immer rechtsfreie Räume. Mit einer Meldepflicht will der Senat das ändern.
Wie alt er sei? Herbert W. zögert, denkt nach: „’31 – geboren!“, sagt er und lacht. Herbert W. ist demenzkrank. Seit acht Jahren wohnt er in einer der 280 Berliner Wohngemeinschaften für mehrheitlich Demenzkranke. Zwei Fachkräfte pro Schicht, zusätzlich noch Hilfskräfte, kümmern sich rund um die Uhr um ihn und vier Mitbewohner. Doch nicht alle Demenzkranken sind so gut untergebracht.
„Wir haben viele Beschwerden über die Pflege-WGs“, berichtet Gabriele Tammen-Parr von der diakonischen Beratungsstelle „Pflege in Not“. Immer öfter beklagten sich bei ihr Angehörige über die ambulanten Pflegedienste. Tammen-Parr berichtet von Häusern, in denen nachts ein Helfer für mehrere WGs auf verschiedenen Etagen zuständig gewesen sei und die Wohnungstüren zeitweise abgeschlossen habe. Schon das sei unzulässig: „Sie dürfen die Bewohner nicht allein lassen.“ Tagsüber vegetierten Kranke in ihren Zimmern, würden nicht bewegt oder lebten in für sie ungeeigneten Räumen. Der Verein „Selbstbestimmtes Wohnen im Alter“ spricht von einer schlechten Betreuung in vielen Wohngemeinschaften. „Den Markt beherrschen Pflegedienste“, sagt Vorstandsmitglied Thomas Birk.
Das Geschäft ist lukrativ. In Berlin gibt es fast 450 ambulante Pflegedienste. Sie beschäftigen insgesamt rund 161 000 Mitarbeiter. Dutzende dieser gemeinnützigen oder privaten Einrichtungen betreuen die in der Stadt verteilten Demenz-WGs. Für die Betreuung ihrer Versicherten zahlen die Pflegekassen – je nach Grad der Bedürftigkeit zwischen 400 und 2000 Euro im Monat. Ein „guter WG-Platz“, sagen Kenner, koste in Berlin aber schnell 2500 Euro. Selbst wer die höchste Entgeltstufe bekommt, muss dafür vom Amt oder Angehörigen bezuschusst werden.
Rechtlich sind die Gemeinschaften Privatwohnungen, die idealerweise von den Angehörigen angemietet werden. Ihnen obliegt auch die Kontrolle über die Betreuung durch den Dienst. Oft aber gibt es Angehörige nicht mehr. Das nutzten manche Anbieter aus, sagt Experte Birk. Da Sozialdienste nicht gleichzeitig Mieter sein dürfen, würden eigens Vereine gegründet. Ein mögliches Modell: „Die Ehefrau hat den Pflegedienst, der Ehemann mietet die WG-Wohnung. Die Bewohner können den Dienst dann nicht einfach wechseln, wenn sie unzufrieden sind“, berichtet Birk. Der Grünen-Abgeordneten Jasenka Villbrandt zufolge gibt es nur in jeder dritten WG eine gewisse Kontrolle durch Angehörige: „Die Nachrichten sind alarmierend.“
Anders als Heime wurden WGs bisher nicht regelmäßig von der staatlichen Heimaufsicht und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen kontrolliert. „Das ist ein rechtsfreier Raum“, sagt Gabriele Tammen-Parr. Der Berufsverband für Pflegeberufe DBfK weist darauf hin, dass die Branche grundsätzlich zu wenig durchleuchtet wird: „Es fehlen oft die Daten.“ Die Sozialverwaltung kennt das Problem: Manche Pflegedienste sparten Geld, indem sie als WG firmierten, tatsächlich aber wie ein Heim geführt würden, ohne die dafür nötigen Auflagen zu erfüllen. Beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste, der mehr als 100 Pflegeunternehmen vertritt, seien allerdings kaum Beschwerden über schwarze Schafe in der Branche eingegangen. „Wir verfolgen das aufmerksam, auch weil wir das Modell der Wohngemeinschaften unterstützen“, sagt Geschäftsführer Bernd Tews.
Einen vollständigen Überblick über betreute Wohngemeinschaften für Demenzkranke zu geben, ist kaum möglich, da gegenüber den Pflegekassen und der Heimaufsicht derzeit keine gesetzliche Verpflichtung besteht, diese Einrichtungen zu melden. Das soll sich ab Juli ändern: Mit dem Wohnteilhabegesetz, das am Mittwoch im Abgeordnetenhaus beschlossen werden soll, werden WGs mit 24-Stunden-Betreuung, wie bei Demenzkranken üblich, meldepflichtig. Sozialdienste müssen der Heimaufsicht dann Zahl und Pflegestufe der Bewohner melden. Bei Beschwerden ist eine anlassbezogene Prüfung möglich. Kassen und Branchenverbände begrüßen dies.
Den Grünen geht das nicht weit genug: „Die Gelder müssen an Qualitätskriterien gekoppelt werden“, fordert Sozialpolitikerin Villbrandt. Die Vergütungsvereinbarung zwischen Senat, Pflegekassen und Sozialdiensten läuft zum Jahresende aus. Für die Verhandlungen im Herbst prüft der Senat, inwieweit die Personalausstattung dann vertraglich festgelegt werden soll.
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