Umverteilung im öffentlichen Raum: Parken in der Verkehrswende
Wie Berlin und andere Städte auf den wachsenden Platzbedarf von Fahrrädern, Lastenrädern und E-Scootern reagieren.
Es ist bunter geworden auf den Bürgersteigen der Berliner Innenstadt. Wer am Anfang der Zwanziger Jahre zu viel mit dem Handy spielt, kann als Fußgänger schnell über Scooter oder umgefallene Leihräder stolpern. An Touristenorten wie dem Wachsfigurenkabinett Unter den Linden wird der Wandel besonders augenfällig, wenn sich dort Elektroroller türmen, die seit dem vergangenen Sommer hinzugekommenen sind. Ungefähr 16.000 Stück sind inzwischen in ganz Berlin verteilt.
Während die Verleiher nicht müde werden, ihre Fahrzeuge als Beitrag zur Verkehrswende zu loben, ärgern sich andere über kurzlebigen Elektroschrott. Sperrzonen sollen zentrale Orte freihalten. Wie viele Autofahrten wirklich eingespart werden? Belastbare Zahlen gibt es kaum.
Mehrere Anbieter haben den hart umkämpften Sharing-Markt schon wieder verlassen. Ein Teil der Leihräder wurde bereits zu Sperrmüll, als Obike 2018 in Konkurs ging. Bosch zieht seine Coup-Flotte aus großen Moped-Elektrorollern wieder aus dem Verkehr. Doch verschwinden wird die neue Vielfalt der Mobilität wohl nicht. Eher dürfte ihr Platzbedarf weiter steigen. Der Senat fördert den Kauf von Lastenrädern, die Kinder durch die Stadt bringen und Diesel-Transportern einen Teil des Lieferverkehrs abnehmen können. Voluminöse Fahrradanhänger für Kind, Hund und Krams passen kaum zwischen die Fahrradbügel.
Die vielen neuen Gerätschaften müssen irgendwo abgestellt werden. Im Mobilitätsgesetz verpflichtet sich Berlin, 50.000 Fahrradstellplätze an Haltestellen und weitere 50.000 im öffentlichen Raum zu schaffen. Für hochwertige Räder sollen diebstahlsichere Fahrradboxen entstehen.
Dabei fällt der Blick auf den Straßenrand, den gigantischen Parkplatz des Kraftverkehrs. Warum sollten die rund 1,2 Millionen Autos in Berlin weiterhin wie selbstverständlich kostenlos oder mit günstigen Anwohner-Tickets in den Kiezen herumstehen?
Bezirke dürfen den Parkraum umverteilen
Auf einen Autostellplatz passen drei Lastenräder, zehn Fahrräder oder Dutzende E-Scooter. Im November hatte der Senat neue Regeln festgelegt, wie Parkplätze für E-Scooter und Lastenräder auf Parkstreifen aussehen sollen. In allen Tempo-30-Zonen können die Bezirke nun Autostellplätze für Fahrräder, Lastenräder und Scooter umwidmen. Vorreiter ist Neukölln, wo bereits an vier Orten Stellplätze für Lastenräder geschaffen wurden.
Bei einer mehr als nur symbolischen Umsetzung dieser Pläne könnte das Durcheinander auf dem Gehweg langsam seinen Zenit überschreiten. In der Folge gäbe es weniger Fahrräder, deren frustrierte Besitzer sie mangels vernünftiger Abstellmöglichkeiten an Abflussrohre und Verkehrsschilder schließen. Diebe hätten weniger günstige Gelegenheiten für den Klau von Rädern, die einfach nur an der Wand lehnen. Der ein oder andere von Fahrrädern verstopfte Hinterhof ließe sich auch gut anders nutzen.
Wie es in Berlin aussieht und wie weit andere Städte mit ihren Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, Scooter und Co gekommen sind, sehen Sie auf folgenden Bildern.
So sieht der bundesweit erste Parkplatz für Lastenräder in Neukölln aus. Die Bügel sind weiter voneinander entfernt als gewöhnlich.
Drei Cargobikes lassen sich dort abstellen.
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Ordnung muss sein: Der Berliner Senat hat neue Stellplatz-Piktogramme für E-Scooter, Fahrräder und Lastenräder auf dem Parkstreifen geschaffen.
Die Berliner Gegenwart sieht allerdings in weiten Teilen der Stadt trist aus. Wie hier am Hauptbahnhof, wo die Scooter als Stolperfallen herumliegen.
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Neukölln. Eine wirklich geeignete Abstellanlage ist das nicht.
Über die gerechte Verteilung der Flächen im öffentlichen Raum muss neu geredet werden.
Nur am Regenrohr war noch Platz
Wutausbruch in Kreuzberg? Ein legaler Parkplatz auf der Straße könnte solche Leihrad-Stapel verhindern.
"Teurer Hipster-Scheiß", "maximal unökologisch". In mehreren deutschen Städten wird aus der linken Szene dazu aufgerufen, E-Roller unbrauchbar zu machen: Mit Stickern verklebten oder zersplitterten Displays lassen sich die Scooter nicht mehr entleihen.
Auf der stark frequentierten Warschauer Brücke schreitet auch mal das Ordnungsamt ein und schreibt Strafzettel, wenn die Roller den Fußgängern im Weg stehen.
Wenn eine kleine Reisegruppe mit Scootern unterwegs ist, wird der Bürgersteig schnell unübersichtlich.
Ein Teil der Scooter und Leihräder verschwindet an unzugängliche Orte - wie hier auf einer City-Toilette am Ludwigkirchplatz in Wilmersdorf.
Roller an der Angel. In Paris werden bei Angel-Aktionen regelmäßig zahlreiche Leihräder und Scooter aus der Seine gefischt.
Leihräder zu Müllbergen im chinesischen Fuzhou und Nanjing.
Umgekippte Rollerparkreihe in Paris
In Tel Aviv und Wien werden Flächen auf dem Bürgersteig markiert.
Scooter-Sperrzonen am Strand von Santa Monica, USA.
Abstellanlagen für Fahrräder
Doppelstockständer an öffentlichen Plätzen Kopenhagens. In Berlin hat sich diese platzsparende Stapeltechnik bislang nicht durchsetzen können. Dabei ist es nicht schwer: Wer oben parkt, klappt eine Schiene herunter, schiebt sein Fahrrad darauf und zieht den Ständer wieder hoch.
Das wohl weltgrößte Fahrradparkhaus steht im niederländischen Utrecht. Auf drei unterirdische Ebenen verteilen sich über 13.000 Stellplätze.
Während bei Gebäudeplanungen in Deutschland die Fahrradparkplätze eher vernachlässigt werden, wird in Dänemark geklotzt wie hierzulande nur für Autos. In Aarhus entstand diese Fahrradtiefgarage für ein neues Bürogebäude.
Von den geplanten Fahrradboxen in Berlin ist noch wenig zu sehen. Diese hier steht auf dem Vorplatz des Bahnhofs Lichtenberg.
Das Ostkreuz ist längst fertig, nicht aber die Vorplätze. Fahrräder stehen hier kreuz und quer an Zäunen und Streben.
Nicht viel anders sieht es am Hauptbahnhof aus. Auch hier soll irgendwann ein Fahrradparkhaus entstehen.
Geht doch! In Bernau, nur wenige Kilometer hinter der nordöstlichen Stadtgrenze, gibt es schon seit 2013 ein Fahrradparkhaus. Auf drei Etagen können insgesamt 570 Räder abgestellt werden.