Abschuss indischer Jets: Pakistans Botschafter: „Wir hatten keine andere Wahl“
Der Konflikt um Kaschmir droht zu eskalieren – stehen die Atommächte Pakistan und Indien vor einem Krieg? Pakistans Botschafter im Gespräch.
Die Welt schaut beunruhigt nach Pakistan und Indien: Stehen die beiden Atommächte nach 50 Jahren wieder vor einem Krieg? Nach den Angriffen beiderseits der Grenzen mit dem Abschuss von zwei indischen Kampfjets in dieser Woche laufen die diplomatischen Drähte heiß. Es geht um den Dauerkonflikt Kaschmir, aber so heiß war die Sache lange nicht. US-Präsident Donald Trump, Russlands Präsident Wladimir Putin, Saudi-Arabiens Kronprinz Bin Salman, aber auch Jordaniens König Abdullah – alle mahnten, viele boten Vermittlung an.
Viele fragen sich: Was zum Teufel bringt ein Land dazu, derart mit dem Feuer zu spielen und einen Krieg in Kauf zu nehmen? Nicht zuletzt, während es beteuert, Frieden zu wollen, wie Pakistan. Kann dessen Vertreter in Deutschland das erklären?
Für Pakistans Botschafter Jahaur Saleem ist das kein Widerspruch. Nach zahlreichen Provokationen und dem Eindringen der indischen Luftwaffe in den pakistanischen Luftraum habe es keine Alternative zu einem Gegenschlag gegeben: „Abschreckung funktioniert nur, wenn Sie zeigen, dass Sie dazu willens und in der Lage sind. Wir hatten keine andere Wahl, als zu antworten“, sagt er ungerührt. Indiens Vorgehen sei ein „klarer Akt der Aggression“ gewesen und Delhi habe behauptet, sie könnten das tun und Pakistan könne sich nicht verteidigen. Das habe man nicht stehenlassen können.
Allerdings, so die Version des Botschafters, die Luftwaffe habe eigentlich beim Nachbarn nur ihre Fähigkeiten demonstriert. „Wir hatten bereits ein indisches Munitionsdepot im Zielradar, aber wir haben es nicht zerstört. Das wissen die Inder.“ Die Pakistaner hätten vielmehr nur über unbewohntem Gebiet ein Zeichen hinterlassen. Auf dem Rückweg seien die Piloten von indischen Jets angegriffen worden – abgeschossen hätten die Pakistaner die zwei Jets erst vom eigenen Luftraum aus. Die eigenen Flugzeuge seien zwar zu der Zeit noch nicht im Zielradar der indischen Jets gewesen, aber in solch einem Nahkampf gelte nur: „Entweder zerstören oder selbst zerstört werden.“
Nach Ansicht von Saleem sind die schlechten Aussichten für die Partei des indischen Premiers Narendra Modi bei den Wahlen im April und Mai Hintergrund für dessen Vorgehen: „Natürlich geht es darum, mehr Sitze zu bekommen.“ Saleem zieht auch Parallelen zu den blutigen Unruhen gegen Muslime in Modis Bundesstaat Gujarat 2002, die Modi zumindest nicht verhinderte. „Kann er das nicht wiederholen?“ fragt Saleem. Und dann schimmert da noch etwas durch, das ewige pakistanische Gefühl des kleinen Bruders, der ungerecht behandelt wird. Am Ende werde meist Pakistan die Schuld gegeben, weil Indien größer sei und das bessere Profil in der internationalen Öffentlichkeit habe.
Pakistan zu Verhandlungen bereit
Saleem betont, Pakistan sei „bereit, sofort mit Indien zu verhandeln. Wir warten nur auf eine Antwort.“ Aus Delhi hatte es derweil geheißen, zunächst müsse Islamabad gegen Terrorgruppen vorgehen, die von Pakistan aus operierten. Allen voran Jaish-e-Mohammed, die Mitte Februar einen indischen Konvoi angegriffen und 40 Soldaten getötet haben sollen – der Auftakt zur aktuellen Eskalation. Pakistan werde das entsprechende Dossier der Inder auswerten, sagt Saleem. Bisher hätten die Inder allerdings für all ihre Vorwürfe keine Beweise vorlegen können. Sollte es verwertbare Beweise geben, werde die Regierung diese an die Justiz geben, daran gebe keinen Zweifel. Außerdem sei die Organisation Jaish in Pakistan verboten. Saleem sieht keinen Widerspruch darin, dass Jaish-Gründer und -Führer Masood Azhar in seinem Land lebt. „Masood Azhar ist in Pakistan, aber er ist sehr krank.“ Auch in Deutschland sei es schon vorgekommen, dass Terroristen freigelassen worden seien. Aktuell gelte: „Wenn Azhar von einem wichtigen UN-Gremium auf die internationale Terrorliste gesetzt wird, folgen wir dem“, sagt Saleem. Wohl wissend, dass China bisher einem solchen Ersuchen widerspricht.
Gegen schnellen US-Abzug aus Afghanistan
Dass es auch Vorwürfe gibt, Pakistans Establishment decke Taliban-Terror und biete ihnen Unterschlupf, will Saleem nicht gelten lassen. Sein Land sei gegen Terror vorgegangen, aber 160 000 amerikanische und rund 300 000 afghanische Soldaten hätten es nicht geschafft, die Taliban in Afghanistan zurückzudrängen. Nun sei es gut, dass es Gespräche der Amerikaner mit den Taliban gebe. Pakistan habe seinen Teil dazu beigetragen, das möglich zu machen. „Die Gespräche sollten nun auch die afghanische Regierung einbeziehen“, fordert Saleem. Gleichzeitig machte er deutlich, dass seine Regierung einen schnellen Abzug der US-Truppen (und damit auch der Deutschen) nicht schätzen würde: „Das könnte größere Instabilität bringen.“ Er gehe eher von einem allmählichen Abzug innerhalb von fünf Jahren aus.
Wie sein Premier Imran Khan, der die Freilassung des gefangen genommenen indischen Piloten am Freitagabend „eine Geste des Friedens“ nannte, betont auch der Botschafter immer wieder den Friedenswillen seines Landes. „Krieg ist eine schlechte Sache. Wir sollten alles, wirklich alles tun, um ihn zu vermeiden“, sagt Saleem. „Indien und Pakistan haben ganz andere Herausforderungen zu meistern wie gute Bildung und gute Gesundheit für ihre Bürger“, erklärt der Diplomat bei einer Tasse grünem Tee. Und: „Keiner von uns kann sich einen Krieg leisten.“ Dann zückt er sein Handy, um auf ein Anti-Kriegs-Gedicht von Sahir Ludhianvi hinzuweisen, das derzeit in den sozialen Netzwerken Furore macht – geschrieben 1966 für Indien und Pakistan. Dort steht zu lesen: „Der Krieg mag im Westen oder Osten sein. Am Ende ist es der Mord des Weltfriedens.“
Glaubt man Pakistans Botschafter gibt es trotz all der lauten Kritik an den indischen Nachbarn bereits erste „Zeichen der Deeskalation“ aus Delhi. Jedenfalls sei der angekündigte Raketenangriff ausgeblieben. Deshalb solle auch nach und nach der Luftraum bis Montag wieder geöffnet werden. Tausende Touristen und Geschäftsleute saßen wegen der Sperrung allein in Thailand fest, weil die Flieger Pakistan hätten überqueren müssen.
Dass die Friedensbekundungen den Tourismuswerbern helfen werden, die kommende Woche auf der ITB unter dem Funkturm in Berlin um Trekking-Urlauber werben wollen, daran glaubt allerdings auch der gewandte Diplomat nicht. Dem Tourismus werde das Ganze nicht guttun. Das ist auch Saleem klar.
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