Wie befreit man ein Gebäude von seiner historischen Last? Man packt es ein und dann wieder aus. So einfach ist das. Roland Specker, der Verhüllungsorganisator, erinnert sich an sein Gespräch mit Rita Süssmuth, damals Bundestagspräsidentin. Im Wendejahr 1989 war das. Süssmuth zeigte wohlwollende Skepsis, wie das Politiker so machen, wenn sie ein Projekt für aussichtslos halten. Specker versuchte es mit Dramatik: „Packen Sie doch die Vergangenheit ein und enthüllen Sie einen lupenreinen Reichstag!"
Vor zehn Jahren, im Juni 1995, war es soweit: Der alte Reichstag verpuppte sich, um 14 Tage später aus seinem Kokon aus Polypropylenbahnen zu schlüpfen. Die meisten der fünf Millionen Besucher (erwartet wurden drei Millionen) waren einfach nur ergriffen von der Verwandlung eines Sandsteinkolosses in einen märchenhaften Eispalast. Auch die internationale Presse reagierte euphorisch auf die neue deutsche Leichtigkeit; endlich mal was Positives nach den Neonazi-Attacken Anfang der 90er Jahre.
In der Nacht vom 17. Juni 1995 begannen Fassadenkletterer, die ersten Stoffbahnen in die Innenhöfe des Reichstags abzurollen. Erst eine Woche später war die Hülle komplett. Am 7. Juli begann der Abbau. Frank Seltenheim dirigierte damals das Team aus 90 Kletterern und 120 Monteuren. Gemessen an anderen Projekten seiner Firma „Seilpartner" sei die Reichstagsverhüllung technisch relativ einfach und ohne größeres Risiko verlaufen. Einzigartig war das Projekt dennoch. „Man brauchte viel Vorstellungsvermögen. Wir haben in Werneuchen an einer Probefassade geübt“ – unter strengster Geheimhaltung. Seltenheim gehört immer noch zur „Christo-family“: Beim Gates-Projekt im New Yorker Central Park war er wieder dabei.
Die Arbeit mit Künstlern wie Christo sei zwar „sehr anstrengend, aber auch ehrlich. Man bekommt seine Arbeit immer bezahlt“. Die gesamte Verhüllung kostete rund 13 Millionen Mark, finanziert aus den exklusiven Verkäufen von Fotos und Zeichnungen. Ein Christo-Plakat kostete 89 Mark. Dafür gab es die Textil-Schnipsel umsonst. Wer mit eigenen Fotos vom verhüllten Reichstag eine schnelle Mark machen wollte, wurde von Christos Anwälten verklagt.
Vor dem Reichstag entwickelte sich ein fröhliches Volksfest mit Fressmeile, Straßenmusik und Picknick-Körben, ein Woodstock-Remake. „Da war dann 24 Stunden lang was los“, erinnert sich Roland Specker. Drei Nächte habe er selbst durchgemacht – mit der Folge, dass er dem SFB-Reporter Ulli Zelle kurz vor einem Live-Interview einschlief. Nicht minder aufreibend war der lange Vorlauf des Großereignisses. Seit Anfang der 70er Jahre verfolgte Christo die Idee, den Berliner Reichstag mit Stoff zu verkleiden. Dabei war es gar nicht seine Idee, sondern die des Deutsch-Amerikaners Michael S. Cullen.
Viel Resonanz hatte Christo zunächst nicht. 1985 bot Specker seine Hilfe an. „Ich kannte ja den Reichstag und wusste, was man machen muss, um an die Genehmigungen zu kommen.“ Dabei war die schwierigste Hürde das Parlament. Nachdem Süssmuth überzeugt war, mussten die einfachen Abgeordneten gewonnen werden. Specker: „352 Einzelgespräche à 30 Minuten.“ 1994 war die entscheidende Abstimmung im Parlament. „Bundeskanzler Kohl trommelte immer mit seiner roten Stimmkarte auf den Tisch“; rot bedeutete Ablehnung. Am Ende stimmten 292 Abgeordnete dafür und 223 dagegen. „Das stand auf Messers Schneide.“
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