Probleme in Rettungsstellen: "Optimal wäre ein Facharzt für Notfallmedizin"
Verwaltung des Chaos, mangelnde Vernetzung, eindimensionales Denken: Der Notfallmediziner Dr. Christoph Dodt kritisiert Fehler im System Notaufnahme.
Dr. Christoph Dodt ist Chefarzt im Notfallzentrum des Städtischen Klinikums München-Bogenhausen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA).
Herr Dodt, woran kranken Deutschlands Notaufnahmen?
Die Rettungsstellen hierzulande behandeln jährlich mehr als 20 Millionen Patienten, Tendenz steigend. Das liegt einerseits an den vielen alten Menschen, andererseits suchen aber auch etliche Leute lieber eine Notaufnahme als einen niedergelassenen Arzt auf, weil sie vermuten, dass die Möglichkeiten eines Krankenhauses eine gründlichere Abklärung ihrer Symptome erlauben als die einer Praxis.
Das heißt, es sitzen in den Warteräumen der Notaufnahmen viele, die dort eigentlich nicht hingehören.
Sagen wir so: Zumindest gehen rund 50 Prozent aller Patienten der Notaufnahmen danach wieder nach Hause. Litten sie an einer schweren Krankheit, würden sie stationär aufgenommen werden. Wünschenswert wäre, dass sich die Rettungsstellen und kassenärztlichen Bereitschaftspraxen vernetzen würden, so dass die Rettungsstellen zum Beispiel die Ersteinschätzung vornehmen, Patienten dann aber in die Praxis weiterschicken können.
Das würde viele empören. Der Unmut über Rettungsstellen, vor allem die Wartezeiten, ist ja ohnehin groß.
Es ist ein Fehler, eine Rettungsstelle nach der Wartezeit zu beurteilen. Objektiv gut ist eine Rettungsstelle, wenn sie es schafft, die dringenden Fälle von den weniger dringenden Fällen zu unterscheiden. Man muss immer daran denken: Während man selbst wartet, wird vielleicht gerade das Leben eines anderen Menschen gerettet.
Aber das ist nicht immer der Fall. Es passieren auch Fehler.
Die meisten deutschen Rettungsstellen arbeiten mit Rotanden, das heißt, die Ärzte sind nicht nur in der Rettungsstelle beschäftigt, sondern werden zeitweise von den Stationen abgezogen. Bei uns sind sie mindestens ein halbes Jahr in der Rettungsstelle, anderswo bleiben sie aber manchmal nur einen Tag und sind dann wieder auf Station.
Und das ist ein Problem?
Die Arbeit auf einer Rettungsstelle ist eine besondere. Jeden Tag sortieren wir hier das Chaos. Und dazu müssen Ärzte risikoorientiert und fachübergreifend denken und dabei oft sehr rasch handeln. Stellen Sie sich einmal vor: Da kommt einer mit Schmerzen im Oberbauch. Die Ursache könnte ein Herzinfarkt, aber auch eine Magenschleimhautentzündung, eine Entzündung der Gallenblase oder ein Riss der Hauptschlagader sein. Ein ausgebildeter Notfallmediziner hat das alles im Blick. Er macht EKG, Ultraschall und bestimmt die Blutwerte. Dann schickt er den Patienten im Haus weiter, entweder zum Kardiologen, zum Gastroenterologen oder zum Gefäßchirurgen. Ohne Diagnose verlässt kein Patient eine gute Notaufnahme.
Wie kommt man dorthin?
Die DGINA fordert schon lange eine spezielle Ausbildung für Ärzte, die in Notaufnahmen arbeiten. Das wäre für die Patienten gut und ein Motivationsschub für die Notaufnahmeärzte. Optimal wäre die Einführung eines Facharztes für Notfallmedizin mit einer fünfjährigen Ausbildung, wie er in anderen Ländern längst Standard ist. Wir haben versucht, diesen Vorschlag für die anstehende Überarbeitung der ärztlichen Ausbildungsordnung, die für 2015/2016 vorgesehen ist, bei der Bundesärztekammer einzubringen. Es hat sich aber gezeigt, dass ein solcher Vorschlag beim Deutschen Ärztetag nicht die notwendige Mehrheit finden würde. Nun geht es darum, wenigstens eine Zusatzweiterbildung in der Klinischen Notfall- und Akutmedizin zu erreichen, mit einer Ausbildungszeit von drei Jahren.
Das Gespräch führte Verena F. Hasel.