Autofreie Zone in Berlin: Nur Fußgänger in der Friedrichstraße
Zwei Stunden Ausnahmefall: Demonstranten fordern eine autofreie Friedrichstraße. Ähnliche Diskussionen gab es vor 40 Jahren in der Wilmersdorfer Straße.
Es war wie auf dem Rummel. Doch statt „komm’se ran, komm’se ran“ rief Matthias Dittmer von den Grünen „komm’se rauf, komm’se rauf“. Rauf hieß in diesem Fall – auf die Straße, auf die Fahrbahn, auf die Friedrichstraße. Und sie kamen, überwiegend Touristen, die die Friedrichstraße wie selbstverständlich in der ganzen Breite zum Bummeln nutzten. Und nicht nur die beiden schmalen Gehwegen links und rechts. Kein Gehupe, kein Gedränge, kein Gestank, kein Lärm.
Für zwei Stunden verwandelten das Bündnis „Stadt für Menschen“ einen – kleinen – Teil der Friedrichstraße am U-Bahnhof Stadtmitte in eine Fußgängerzone, quergestellte Polizeiautos sicherten die Einfahrten ab. Die Politprominenz des Bezirks Mitte war auch gekommen, offenbar ist der Handlungsdruck groß.
Die grüne Umweltstadträtin Sabine Weißler sagte: „Die Friedrichstraße funktioniert nicht. Sie funktioniert nicht für Touristen, nicht für Berliner und auch nicht für Geschäftsleute.“ Der ebenfalls grüne Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel ergänzte: „Und die Friedrichstraße funktioniert nicht für Autos und nicht für Radfahrer.“ Es gebe „keine Straße im Bezirk, in der ich mich noch gefährdeter fühle“. Der Bürgermeister erinnerte an die Tauentzienstraße in Charlottenburg, die in den 90er Jahren an den Adventsonnabend eine Fußgängerzone war, „das hatte wunderbar funktioniert“. Eine Fußgängerzone sei „die einzige Möglichkeit, die Friedrichstraße wieder als Einkaufsstraße zu etablieren.“
Als Bedenkenträger traten dann Bastian Roet, FDP-Politiker in Mitte, und der SPD-Abgeordnete Tino Schopf auf. Beide meinten, dass es ein Gesamtkonzept brauche, so einfach könne man die Friedrichstraße nicht dicht machen, weil sonst der Autoverkehr in die Nebenstraße ausweiche. „Dann freuen sich ein paar in der Friedrichstraße und in den anderen Straßen leiden sie.“
Diese Sorgen trieb die Aktivisten um den Grünen Matthias Dittmer von der Arbeitsgemeinschaft Mobilität nicht um. Möglichst schnell müsse etwas geschehen, und damit es geschieht, werde es weitere, ähnliche Aktionen geben. Er erinnerte an Rotterdam, Kopenhagen oder Paris, die ebenfalls den Autofahrern Platz wegnehmen. Dann schnappte sich eine ältere Dame, nach eigenen Angaben ebenfalls grüne Aktivistin, das Mikrofon und schimpfte über Fußgängerzonen, die seien nichts für Berlin.
In gewisser Weise, wenngleich vermutlich ohne dass den Akteuren das bewusst war, stellte die Zwei-Stunden-Aktion auch so etwas wie eine Jubiläumsfeier dar. Ein Jubiläum zudem, das im Jahrestagetrubel der vergangenen Monate völlig untergegangen war: 40 Jahre Fußgängerzone in der Wilmersdorfer Straße, übrigens der ersten derartigen, also autofreien Straße in West-Berlin. Und wie heute gab es auch damals schon allerhand Unkenrufe, dass solch ein nur per pedes erreichbares Einkaufsviertel kaum funktionieren könne, dass es nur zu Belastungen der Bewohner in den umliegenden Straßen führe, sofern überhaupt noch Kunden in nennenswerter Zahl die Charlottenburger Fußgängerzone aufsuchen würden.
Ein Parkhaus mit rund 300 Stellplätzen sei schon nötig, um im Nahbereich auch in Spitzeneinkaufszeiten genügend Parkmöglichkeiten zu schaffen, ließ etwa Anfang 1978 der damalige Baustadtrat Ehrhart Körting verlauten, später Justiz-, noch später Innensenator von Berlin. Auch als Ende April desselben Jahres Richtfest gefeiert wurde, waren die Bedenken gegen solch eine neumodische Fußgängerzone nicht verstummt. „Bleibt die Parkraumnot wie sie ist, drohen die jetzt noch relativ ruhigen Wohnstraßen der Umgebung zu großen Auto-Abstellplätzen zu werden“, warnte damals der Tagesspiegel.
Kunden, die ohne Auto kommen? Unvorstellbar!
Dass Kunden anders als mit dem Auto anreisen könnten, vermochten viele sich nicht vorzustellen. Auch sorgte man sich, dass die Straße nach Geschäftsschluss tot und verlassen sein würde, so ohne Kinos, Restaurants, Straßencafés – und ohne Autos. Dennoch war das Richtfest ein Erfolg: Fast 20.000 Besucher drängten sich auf der durch die Kantstraße zweigeteilten Fußgängerzone, es gab Erbsensuppe, Musik und eine dreistündige Sondersendung des SFB. Wobei das mit dem Richtfest erklärt werden muss. Gefeiert wurde die Überdachung der Straße durch eine Plexiglaskonstruktion, die längst wieder verschwunden ist.
Reichlich viel Tamtam um diese erste West-Berliner Teil-Fußgängerzone, den kompletter wurde sie erst im Herbst, als es wieder eine Feier gab, diesmal zur offiziellen Eröffnung, mit Freibier und Musik. Selbstverständlich waren auch da noch nicht alle Arbeiten erledigt – Berlin bleibt eben Berlin.
Mit der den Fußgängern vorbehaltenen Wilmersdorfer Straße deutete sich ein Umdenken in der West-Berliner Verkehrspolitik an, das auch Auswirkungen auf andere Bezirke hatte. Ende der siebziger Jahre wurde etwa die Sanierung der Altstadt Spandau ins Auge gefasst, die sich zehn Jahre hinzog und ebenfalls in einer Fußgängerzone mündete.
Da war der Alexanderplatz schon lange autofrei. Bereits 1964 gab es einen Beschluss des Magistrats, einen Wettbewerb zur Umgestaltung des Platzes auszuschreiben. Fertig wurde der neue Alex 1971. Dahinter stand auch die Idee eines zentralen verkehrsfreien Kundgebungsplatzes. Dass dort am 4. November 1989 die größte Demonstration der DDR stattfinden würde – wer konnte das ahnen.