Berlin: Nur für Cash
Der Künstler Reinhard Kleist hat dem verstorbenen Country-Sänger eine Comic-Biografie gewidmet
Das hätte Johnny Cash nicht auf sich sitzen lassen. Das Holztor zur Western-Bar am Friedrichshainer Spreeufer, in der das Treffen mit Cash-Biograf Reinhard Kleist stattfinden soll, ist fest verschlossen. Dabei sollte der Laden geöffnet sein. Cash hätte wahrscheinlich die Axt gezückt und die Tür zu Kleinholz gemacht. So wie in Kleists Buch „I See a Darkness“. Da beschreibt er, wie der Musiker in einem Hotel die geforderte Durchgangstür zum Nebenzimmer vermisst und selbst Hand anlegt. Aber anders als der Held seines Buches ist der Autor und Zeichner Kleist – 36 Jahre, sonnengebräunt, Dreitagebart – ein sanfter, freundlicher Kerl ohne jähzornige Anwandlungen. Also findet der Fototermin vor dem Tor des alternativen Country-Treffpunkts statt.
Dass es ausgerechnet Johnny Cash werden würde, dessen Leben er mal in einem 220-Seiten-Werk würdigt, hätte der Wahl-Berliner Reinhard Kleist vor ein paar Jahren selbst kaum geglaubt, erzählt er später beim Gespräch am Spreeufer. Eigentlich erschien dem Zeichner, der sich mit coolen Underground-Großstadtabenteuern wie „Fucked“ und „Scherbenmund“ einen Namen gemacht hat, der Country-Sänger als ein konservatives Überbleibsel der Vergangenheit. Mit Songs wie „Ring Of Fire“ oder „I Walk The Line“, die sein Vater zu Hause immer hörte, konnte Kleist junior lange nichts anfangen. Westernfilme mochte er zwar, aber ihm lagen eher die Breitwand-Epen von Ennio Morricone, die man mit einer ironischen Distanz bewundern kann. Auch Kleists Begeisterung für Country-Musik war eher ironisch gebrochen. So veranstaltete er im Kreuzberger SO36 vor ein paar Jahren „Country- und Schwestern-Partys“ für die schwule Szene, das Logo war ein Cowboy, der statt des Revolvers den Lippenstift zieht.
Ganz ernst ist es Kleist hingegen mit seiner erst in den letzten Jahren gewachsenen Begeisterung für die Person Johnny Cash. Wie ein filmisch angelegtes Breitwand-Drama liest sich an vielen Stellen seine in Schwarz-Weiß gehaltene Comic-Biografie, deren Veröffentlichung diesen Freitag mit einer Country-Party gefeiert wird. Den Anstoß zum Buch gab ein Freund, der mit seiner Band Cash-Nummern nachspielte. Kleist, der großen Gefallen am düsteren „American“-Spätwerk des Sängers gefunden hatte, vertiefte sich in Cash-Biografien, studierte Songtexte und entdeckte, dass der Musiker vor allem eines ist: „ein großartigerer Geschichtenerzähler.“ Klassiker wie „I Shot a Man in Reno“ oder „A Boy named Sue“ sind fantastische Mini-Dramen, die sich perfekt für eine grafische Umsetzung eignen, schwärmt Kleist.
Eine Auswahl dieser Liedertexte verwandelte der Zeichner in Bildgeschichten. Die kombiniert er mit biografischen Skizzen vor allem aus Cashs erster Lebenshälfte bis zum legendären Folsom-Gefängniskonzert 1968 sowie einer bewegenden Momentaufnahme aus der Zeit kurz vor Cashs Tod 2003, als er dank es Produzenten Rick Rubin ein spätes Comeback erlebte. Herausgekommen ist ein halb realistisch gezeichnetes, vielschichtiges und detailverliebtes Porträt des großen Musikers. Es schwimmt, wenn auch eher zufällig, auf einer Welle, die der Cash-Biograf Franz Dobler im Vorwort für Kleist als Cashmania bezeichnet, ausgelöst durch den Film „Walk the Line“. Als der letzten Winter ins Kino kam, hatte Kleist sein Buch allerdings schon längst entworfen und steckte mitten in den Zeichnungen.
Wie im Film, so kommt Cash auch bei Kleist als getriebener, innerlich zerrissener Charismatiker daher, dessen Leben zwischen Extremen pendelt. Der Aufstieg zum Superstar, die Überforderung als Familienvater, die verbotene Liebe zu June Carter, die Drogenexzesse und der wiederholte Verlust des inneren Gleichgewichts bilden auch den roten Faden des Comics. Allerdings konzentriert sich Kleist statt auf das im Film zentrale Liebesdrama mehr auf den Musiker Cash, der auch in Zeiten schlimmster Abstürze noch großartige Lieder schreibt und interpretiert. Dafür steht auch der Buchtitel „I see a darkness“, Reverenz an einen von Kleists Lieblingssongs.
Was von den dramatischen Episoden in diesem Buch wahr ist, war ihm beim Aufschreiben und Zeichnen selbst nicht immer klar, sagt Kleist. So erzählt er in einer Schlüsselszene von Cashs Selbstmordversuch, der sich in der Autobiografie des Musikers findet, aber von vielen Biografen angezweifelt wird. Für diese Szene wie wohl für Cashs ganze Lebensgeschichte gilt, was Kleist einer anderen zentralen Figur in den Mund legt, dem Folsom-Insassen Glen Sherley, der bei ihm die Funktion eines Erzählers hat: „Am Ende sind es die Geschichten, die bleiben, nicht die Fakten.“
Kleists Begeisterung für Cash hat sich durch die einjährige Arbeit am Buch und das endlose Hören von Cash-Songs nicht abgenutzt, im Gegenteil, der Musiker ist ihm nähergekommen, als er je erwartet hätte. Als kürzlich aus Cashs Nachlass das Album „A Hundred Highways“ erschien, da hörte sich Kleist die ergreifenden Songs, die von Tod und Abschied handeln, gemeinsam mit ein paar Freunden an. „Danach lagen wir uns alle weinend in den Armen.“
Reinhard Kleist: „Cash. I see a darkness“, 224 Seiten, 14 Euro, Carlsen-Verlag, Party zur Buchveröffentlichung diesen Freitag ab 20 Uhr im Kato im U-Bahnhof Schlesisches Tor (10 Euro)
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