„Berliner Straßenszene“: Nur einig im Dissens
Ein Sonderausschuss des Abgeordnetenhauses sollte die Rückgabe des Kirchner-Gemäldes klären, das kurz darauf in New York versteigert wurde. Regierung und Opposition stehen sich jedoch weiter unversöhnlich gegenüber.
Der Sonderausschuss des Abgeordnetenhauses zur Rückgabe des Gemäldes „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner beschließt seine Arbeit in tiefem Zerwürfnis. Der Abschlussbericht, der morgen im Parlament verabschiedet werden soll, wird vom Votum der Koalitionsmehrheit SPD und Linke getragen. Die Oppositionsparteien CDU, Grüne und FDP verständigten sich darauf, den vom Ausschussbüro erarbeiteten Entwurf zu diesem Bericht, den die Koalition resolut zusammengestrichen hat, in voller Länge als Minderheitsvotum hinzuzufügen.
Die Koalition sieht die Restitution des Gemäldes aus dem Bestand des Brücke-Museums an die Erbberechtigten des früheren Eigentümers Hans Hess im Jahr 2006 als rechtmäßig und im Verfahren fehlerfrei an. Die Opposition bemängelt, das Verfahren sei insbesondere durch strikte Geheimhaltung unsachgemäß verlaufen und der Anspruch auf Herausgabe des Bildes nicht hinreichend geprüft worden sei. Unstrittig ist allein, dass der zusätzliche Auftrag an den Ausschuss, Kriterien zu erarbeiten, „wie die Berliner öffentlichen Museen und die zuständige Verwaltung künftig mit Rückgabeforderungen transparent und plausibel umgehen sollen“, nicht erfüllt wurde. Bei der gestrigen Vorstellung des Abschlussberichts durch die Koalitionsfraktionen wurde an die Bundesregierung und alle Bundesländer weiterverwiesen.
Der Ausschuss konnte im Laufe seiner gut neunmonatigen Arbeit Licht auf die Arbeitsweise von Kulturverwaltung und Senatskanzlei werfen. Es ergab sich, dass die Verhandlungen im allerkleinsten Kreise geführt wurden, insbesondere von der damaligen Kulturstaatssekretärin und heutigen Chefin der Senatskanzlei, Barbara Kisseler. Der Eindruck der Opposition, die Entscheidung zur Rückgabe sei frühzeitig gefällt und den Anwälten der Anspruchstellerin vorab signalisiert worden, ehe die Prüfung der Umstände abgeschlossen oder womöglich überhaupt erst begonnen worden war, bleibt unbewiesen – aber eben auch unwiderlegt. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit informierte sich erst ein Jahr nach der Anspruchstellung aus den Akten. André Schmitz als sein damaliger Kanzleichef stellte sich vor dem Ausschuss als nicht mit der Angelegenheit befasst dar.
Brigitte Lange (SPD) betonte als Ergebnis des Ausschusses, die Rückgabe des – bald darauf für 38 Millionen Dollar versteigerten – Bildes sei „berechtigt“ gewesen: „Bei verfolgungsbedingtem Vermögensentzug ist die Rückgabe zwingend.“ Alle Voraussetzungen der Grundsätze der Washingtoner Konferenz von 1998 und der „Gemeinsamen Erklärung von Bund, Ländern und Gemeinden“ von 1999 seien erfüllt gewesen. Alice Ströver (Grüne) bezeichnete die Rückgabe zwar als „nachvollziehbar“, sieht jedoch im Vorgehen der Verwaltung eine „Sammlung von Fehlverhalten“. Einen „fairen und gerechten Ausgleich“ anzustreben, wie in Washington vereinbart, sei „in keinster Weise geschehen“.
Die Prüfung der Vorgänge aus dem Jahr 1936, als die bereits in die Schweiz emigrierten jüdischen Eigentümer das Kirchner-Bild über den Kölnischen Kunstverein an einen Privatsammler veräußerten, ist im Ausschuss ausführlich dargestellt worden. Sie findet sich im Entwurf des Abschlussberichts umfassend wiedergegeben – in der Endfassung durch die rot-rote Mehrheit jedoch stark gekürzt. Dass darüber hinaus die Darstellung in dem damals von Thomas Flierl (Linke) geführten Kulturressort in der Endfassung gekürzt und geglättet wurde, kann nicht verwundern. Als Ergebnis dürfte morgen im Abgeordnetenhaus verkündet werden, dass Senat und Verwaltung alles richtig gemacht haben – und wieder so handeln würden.
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