Berlin: Notruf in der Warteschleife
Jeder zehnte Brandenburger, der 110 wählt, muss sich länger als 30 Sekunden gedulden, bis jemand abhebt.
Potsdam/Berlin – Rund 60 000 Mal im Jahr oder 160 Mal am Tag erreichen Bürger in Brandenburg den Polizeinotruf 110 nicht und legten auf. Bei fast 100 000 der insgesamt 437 660 Anrufe im Jahr 2012 dauerte es länger als 30 Sekunden, bis ein Beamter in den Zentralen in Potsdam und Frankfurt (Oder) abnahm. Im Schnitt dauerte es 13 Sekunden.
Die Zahlen nennt das Innenministerium in einer Antwort auf eine Anfrage des CDU- Landtagsabgeordneten Björn Lakenmacher. Er sprach von einem katastrophalen Zustand. „Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass schnell Hilfe kommt, wenn sie die Polizei anrufen“, sagte Lakenmacher. „Mehr als jeder achte Anrufer musste den Notruf abbrechen, weil die Polizei nicht schnell genug erreichbar war.“ Grund sei die Polizeireform. Ein Sprecher des Innenministeriums wies die Kritik zurück. „Einen Sockel von etwa 60 000 abgebrochenen Notrufversuchen verzeichnete die Polizei auch vor der Reform 2011“, sagte er. Insgesamt sinke die Zahl der abgebrochene Notrufe. „Fälle, in denen Hilfesuchende den Polizeinotruf tatsächlich vergeblich wählen, sind sehr selten.“ Bei 20 000 der 60 000 abgebrochenen Anrufe ließen es die Bürger nur einmal klingeln und legten binnen fünf Sekunden auf. Die übrigen 40 000 abgebrochenen Anrufe gingen meist auf Mehrfachanrufer zurück.
In Berlin ist der Notruf schneller zu erreichen. Bei der Polizei dauert es im Schnitt sechs Sekunden, bis ein Beamter abnimmt. 81 Prozent der Anrufe werden binnen zehn Sekunden angenommen, in Brandenburg ist das nur bei der Hälfte der Fall. Bei nur fünf Prozent der Notrufe in Berlin – in Brandenburg waren es zehn Prozent – dauert es länger als 30 Sekunden.
Durch die Polizeireform seien zu wenige Beamte und Streifenwagen auf Brandenburgs Straßen unterwegs, sagte CDU- Innenexperte Lakenmacher. Der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Andreas Schuster, sagte, die bei der Polizeireform vorgegebene Zahl, dass 160 Streifenwagen am Tag im Land im Einsatz seien sollen, werde wegen Personalmangels nicht erreicht. Aktuell seien es bis zu 115 Fahrzeuge. Der Vize-Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Lutz Thierfelder, sagte: „Fragen Sie mal auf dem Dorf nach, wann die dort den letzten Streifenwagen gesehen haben.“
Gravierend wirkt sich Polizeireform auf die Einsatzzeiten aus. Es dauerte 26,47 Minuten von der Alarmierung eines Einsatzwagens bis zur Ankunft vor Ort. 2011, vor der Polizeireform, waren es 24,22 Minuten, 2008 nur 23,24 Minuten. Laut Schuster sind die Zahlen der vergangenen beiden Jahre für die Reform geschönt. Zuvor sei die Interventionszeit ab Notruf bis zum Eintreffen am Einsatzort gemessen worden. Seit der Polizeireform werde erst gemessen, wenn ein Streifenwagen losfährt. Mit der Polizeireform soll die Zahl der Stellen von 8900 auf 7000 im Jahr 2020 sinken. Wegen rapide steigender Einbruchs- und Grenzkriminalität soll der Stellenabbau nach internen Absprachen auf 7800 Stellen abgebremst werden.
Die Feuerwehr in Berlin ist durchschnittlich nach sieben bis acht Sekunden an der Leitung. Die Notrufe könnten zu 90 Prozent in unter zehn Sekunden angenommen werden, sagte ein Sprecher. Massive Kritik gibt es aber auch hier. So komme jeder zweite Rettungswagen verspätet zum Patienten, kritisiert die Gewerkschaft. Grund seien personelle Engpässe.
Tanja Buntrock, Alexander Fröhlich
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