Bildungsziel verfehlt: Noch mehr Zehntklässler in Berlin ohne Abschluss
Dies belegt der neue Abschlussbericht des Instituts für Schulqualität. Senatorin Scheeres kündigt Konsequenzen an.
Der Senat verfehlt das Hauptziel seiner Bildungspolitik – die Reduzierung der Jugendlichen ohne Schulabschluss. Im vergangenen Schuljahr hat diese Gruppe sogar deutlich zugenommen: bei den rund 13.000 Abgängern der Sekundar- und Gemeinschaftsschulen um rund ein Drittel von zehn auf 13 Prozent. In absoluten Zahlen macht das – wegen insgesamt gestiegener Schülerzahlen – einen Sprung von 1250 auf 1750 aus. Unter den Gymnasiasten schafften alle einen Abschluss, aber der Anteil der Schüler, die den Mittleren Schulabschluss (MSA) bekamen, sank leicht von 97 auf 96 Prozent. Die restlichen Gymnasiasten schlossen mit Berufsbildungsreife ab.
Dass der Flüchtlingszuzug nicht die alleinige Rolle bei der erhöhten Abbrecherquote spielen kann, zeigen die Zahlen zur Herkunft der Schüler in Bezug auf die MSA-Prüfungen. Demnach haben sich auch die Schüler mit deutscher Herkunftssprache im Vergleich zu 2016 deutlich verschlechtert. In Mathematik etwa schafften von ihnen nur noch 65 Prozent die Mathematikprüfung gegenüber 70 Prozent 2016. Insgesamt schlossen bei den Sekundarschülern mit deutscher Muttersprache 76 Prozent mit dem MSA ab, während Schüler mit türkischer Muttersprache nur zu 56 Prozent bestanden. Bei Schülern mit anderer Sprache sind es 64 Prozent.
Tempelhof-Schöneberg liegt an der Spitze
Bei den Bezirken liegt Tempelhof-Schöneberg an der Spitze: Hier erhielten 79 Prozent der Schüler an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen den MSA. Es dürfte dabei eine große Rolle spielen, dass es im Bezirk drei traditionell starke Sekundarschulen gibt: die Sophie-Scholl-, die Gustav-Heinemann- und die Carl-Zeiss-Schule. Dahinter folgen Pankow (77 Prozent) und Lichtenberg (76 Prozent).
Am schlechtesten schneidet Neukölln ab, hier haben nur 58 Prozent der Sekundarschüler den MSA bestanden. Im Bezirk liegt auch die Schule mit der höchsten Abbrecherquote von rund 40 Prozent, wie ein Vergleich der Schulportäts zeigt, die die Bildungsverwaltung ins Netz stellt. In Mitte sieht es nicht viel besser aus: Hier schafften nur 59 Prozent den MSA, was aber immerhin eine Verbesserung von sieben Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.
Bei den Gymnasiasten liegt Treptow-Köpenick vorne
Die übrigen Bezirke: Friedrichshain-Kreuzberg (61 Prozent), Charlottenburg-Wilmersdorf (74 Prozent), Spandau (67 Prozent), Steglitz-Zehlendorf (74 Prozent), Treptow-Köpenick (74 Prozent), Marzahn-Hellersdorf (62 Prozent), Reinickendorf (68 Prozent)
Bei den Gymnasiasten liegen die MSA-Bestehensquoten durchweg über 90 Prozent. Den höchsten Wert erzielt Treptow-Köpenick mit 99 Prozent, vor Pankow (98 Prozent), Marzahn-Hellersdorf (98 Prozent) und Lichtenberg (98 Prozent). Am schlechtesten schneidet auch hier Neukölln ab, wo 91 Prozent der Gymnasiasten den MSA bestehen. Zudem hat sich der Bezirk im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozent verschlechtert. In Mitte sind es 92 Prozent. Die übrigen Bezirke: Friedrichshain-Kreuzberg (97 Prozent), Charlottenburg-Wilmersdorf (95 Prozent), Spandau (94 Prozent), Steglitz- Zehlendorf (97 Prozent), Tempelhof-Schöneberg (96 Prozent), Reinickendorf (97 Prozent).
Mathematik fällt den Schülern bei den MSA-Prüfungen am schwersten. Insgesamt bestehen nur 75 Prozent der Schüler diesen Prüfungsteil – an Gymnasien sind es 94 Prozent, an Sekundarschulen 58 Prozent, an Gemeinschaftsschulen 54 Prozent. Die besten Ergebnisse gibt es in Englisch, das schaffen 91 Prozent (an Gymnasien 98 Prozent, an Sekundarschulen 78 Prozent, an Gemeinschaftsschulen 75 Prozent). Im Fach Deutsch bestehen insgesamt 84 Prozent (Gymnasien: 97 Prozent, ISS: 72 Prozent, Gemeinschaftsschulen: 70 Prozent).
Mathematik gilt als Hauptproblemfach in Berlin
Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Mathematik-Ergebnisse der Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen zwar leicht verbessert, allerdings sind sie deutlich schlechter als 2016: Damals waren die Klausuren allerdings auch als besonders einfach eingeschätzt worden – „pillepalle“, wie es von Lehrerseite hieß.
Die drastischsten Verschlechterungen gab es im Fach Mathematik bei denjenigen Schülern, die in der zehnten Klasse erneut für die Berufsbildungsreife geprüft wurden, weil sie es in Klasse 9 nicht geschafft hatten. Dies betraf rund 3000 Jugendliche. Sie konnten in Klasse 10 freiwillig an den Prüfungen zur erweiterten Berufsbildungsreife und am MSA teilnehmen oder sich für die einfache Berufsbildungsreife prüfen lassen. Von den 1350 Schülern, die erneut zur Berufsbildungsreife antraten, bestanden nur 20 Prozent. Im Fach Mathematik waren es sogar lediglich acht Prozent – das ist eine Verschlechterung um 15 Prozentpunkte.
Wie berichtet, gilt Mathematik seit langem als Hauptproblemfach in Berlin. Infolge der lange Zeit geltenden Berliner Vorschriften zur Lehrerbildung und zum Lehrereinsatz kann es vorkommen, dass Schüler in ihrer Schulzeit nie von einem studierten Mathematiklehrer unterrichtet wurden. Der Mangel an Fachlehrern verschärft dieses Problem noch.
Verteilung von Quereinsteigern muss "gerechter" gestaltet werden
„Gymnasien retten Scheeres die Statistik“, kommentierte FDP-Bildungspolitiker Paul Fresdorf die neuen Zahlen. Denn die Bildungsverwaltung verkündete, dass „93 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Gymnasien und Sekundarschulen einen Schulabschluss haben“. Da die Ergebnisse erst nach 15 Uhr publiziert wurden, blieb nur wenig Zeit, den Angaben auf den Grund zu gehen – „ein Schelm, der Böses dabei denkt“, meinte ein Schulleiter. Erschwerend kommt hinzu, dass das vom Senat mit der Auswertung beauftragte „Institut für Schulqualität Berlin-Brandenburg“ in seiner Zusammenfassung etliche negative Daten nicht erwähnt, geschweige denn erläutert. So bleibt unklar, warum der Anteil der türkischsprachigen Sekundarschüler ohne Abschluss von 11 auf 19 Prozent stieg.
Angesichts der problematischen Entwicklung meinte Fresdorf, „dass der verstärkte Einsatz nicht voll ausgebildeter Lehrkräften durchzuschlagen scheint“. Ebenso wie Politiker von Koalition und CDU fordert der Spandauer FDP-Abgeordnete, dass die Verteilung von Quereinsteigern auf die Schulen „gerechter“ gestaltet werden müsse.
„Wir können uns mit den Ergebnissen nicht zufrieden geben. Sie zeigen, dass unsere Anstrengungen im Bereich der Unterrichtsqualität liegen müssen“, kommentierte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) den ISQ-Bericht. Dazu habe sie „Maßnahmen“ erarbeiten lassen, die sie in Kürze vorstellen werde. Auf die Frage, ob die Verschlechterung der Ergebnisse mit dem gestiegenen Anteil geflüchteter Schüler zusammenhänge, antwortete Scheeres’ Sprecherin, das trage „fraglos dazu bei, aber nicht ausschließlich“. Man müsse daher „dringend die Unterrichtsqualität stärker in den Blick nehmen“, sagte sie mit Hinweis auf die angekündigten „Maßnahmen“.
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Susanne Vieth-Entus, Sylvia Vogt