Hans Falladas Romanklassiker wird neuverfilmt: Noch immer allein in Berlin
Hans Falladas Klassiker läuft in einer Neuverfilmung im Wettbewerb – die historischen Vorbilder für den Roman lebten hier.
Einfache Leute, ein Arbeiterpaar, keine Widerständler mit großen Plänen für die Zeit nach Hitler, hingerichtet wie so viele im Lauf des Krieges – und doch verliert die Geschichte von Otto und Elise Hampel ihre Faszinationskraft nicht. Unter dem Titel „Jeder stirbt für sich allein“ hat der Schriftsteller Hans Fallada die beiden stillen Helden verewigt. Hildegard Knef und Carl Raddatz haben sie in einer Verfilmung von 1975 verkörpert. Der Regisseur Luk Perceval und die Dramaturgin Christina Bellingen brachten 2013 eine Bühnenversion nach Falladas Roman am Hamburger Thalia- Theater heraus. Und am Montag läuft auf der Berlinale eine Neuverfilmung des Stoffs unter dem Titel „Alone in Berlin“, entstanden unter der Regie von Vincent Perez. Brendan Gleeson und Emma Thompson spielen das Arbeiterpaar, Daniel Brühl gibt einen Polizisten auf der Spur der Widerständigen. Vielleicht liegt es an der Lebensnähe und dem starken Sinn für die Einzelheiten des Kriegsalltags in Berlin, dass Falladas Version der Geschichte noch immer fasziniert – eine Neuauflage des Romans von 2011 wurde zum Bestseller. Der manische Autor hatte 1946 in nur wenigen Wochen fast neunhundert Seiten niedergeschrieben. 1947 starb Fallada, von seiner Morphiumsucht geschwächt, gerade mal 53 Jahre alt, womöglich an einem Behandlungsfehler in einem Pankower Krankenhaus.
Manfred Kuhnke hat sich auf die Suche nach der realen Romanvorlage gemacht
Falladas vom Aufbau-Verlag groß angekündigter Roman war der erste, der sich mit den Möglichkeiten des Widerstands in Nazi-Deutschland befasste. Fallada schrieb, er wolle zeigen, wie „ein kleiner Mann aus dem Volk einen von vornherein aussichtslosen Kampf gegen die Hitlersche Staatsmaschine führt“. So hat es Manfred Kuhnke in seinem Buch über „Authentisches und Erfundenes in Hans Falladas letztem Roman“ zitiert. Kuhnke war ein Fallada-Forscher – und ein begnadeter literarischer Spurensucher. Vor 25 Jahren hatte er sich in Berlin auf die Suche nach der Geschichte hinter dem Roman gemacht, auch die Suche nach der Wahrheit hinter den Gestapo-Akten über Otto und Elise Hampel. Auf andere Weise ist sein Buch „Falladas letzter Roman – Die wahre Geschichte“ nicht weniger packend als Falladas Roman – und noch ein wenig trauriger.
Die Quangels beginnen ihren Widerstand mit Postkarten
Fallada hatte seine Geschichte von Elise und Otto Hampel nach Pankow verlegt, in die Jablonskistraße 55 und seinen beiden Helden andere Namen gegeben: Anna und Otto Quangel. Am Anfang erzählt er, was die Quangels in den Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime getrieben hat: „Die Briefträgerin Eva Kluge steigt langsam die Stufen im Treppenhaus Jablonskistraße 55 hoch. Sie ist nicht etwa deshalb so langsam, weil sie ihr Bestellgang so sehr ermüdet hat, sondern weil einer jener Briefe in ihrer Tasche steckt, die abzugeben sie hasst, und jetzt, zwei Treppen höher, muss sie ihn bei den Quangels abgeben. Die Frau lauert sicher schon auf sie, seit über zwei Wochen schon lauert sie der Bestellerin auf, ob denn kein Feldpostbrief für sie dabei sei.“ Der Brief aus dem Feld, der nun übergeben wird, enthält die Nachricht vom Tod des Sohns Otto. Mit der haltlosen Trauer, die Anna und Otto Quangel nun mitreißt, kommt der Groll, auf die, die diesen Krieg angezettelt haben, und so beginnen die Quangels, Postkarten und offene Briefe zu schreiben und als Akte der Subversion in den Treppenhäusern der Mietskasernen liege zu lassen. Es waren schlichte Texte, „Durch Hitler geschieht der Verrat aller Schaffenden in Europa!!!!!!“, stand auf einer. Es sind keine geschliffenen Überlegungen adliger Militärs, es sind bittere Bemühungen, so etwas wie Widerstandsgeist zu wecken. Weit kamen die beiden nicht, auch wenn Kuhnke von über 190 Karten und Kanzleibögen schreibt, die das Paar beschriftet hat.
Kriminalsekretär Willy Püschel ist ein "typischer deutscher Polizist jener Zeit"
Verteilt hat Otto Hampel sie in Wedding, denn dort, in der Amsterdamer Straße, wohnten die Hampels. Der Versuch der Subversion blieb nicht lange unentdeckt – und es gehört zu den faszinierenden Seiten an Falladas Roman, wie er Warmherzigkeit und Blockwartmentalität, Anstand, Kälte und Paranoia dieses im Krieg gefangenen Kleine-Leute-Berlin darstellt. Ein Kriminalsekretär wird auf die noch anonymen Regimegegner angesetzt, Beobachtungen werden gemacht, Denunziationen erfolgen, und nach zwei Jahren greift die Gestapo zu: Die Hampels werden verhaftet, Kriminalsekretär Willy Püschel kann mit sich zufrieden sein. Fallada-Forscher Manfred Kuhnke beschreibt ihn in seinem Buch als „typischen deutschen Polizisten jener Zeit“, der seinen Dienst vor der Machtergreifung der Nazis begonnen hatte, „ein Beamter, der treu seine Pflicht tut“. Leute wie er mit ihrer Eichmann-Mentalität waren die Stützen des Systems.
In Plötzensee werden die Widerständler geköpft
Wie brutal diese Zeit mit den Menschen, die in ihr lebten, umgegangen ist, führte Kuhnke auch an anderer Einzelheiten der wirklichen Geschichte der Hampels aus. Von einer Zeitzeugin erfuhr Kuhnke, was aus dem Haus in der Amsterdamer Straße 10 wurde, nachdem die Hampels von dort in Haft gebracht worden waren: Es wurde im November 1943 von einer Fliegerbombe zerstört, 96 Menschen starben, darunter auch die Frau und ihre Kinder, die die Wohnung der Hampels übernommen hatte. Da waren die Hampels längst hingerichtet – vom Fallbeil in Plötzensee geköpft, der Wissenschaft zur Sektion überlassen, anonym beerdigt. Denken kann man trotzdem an sie, an vielen Orten in Berlin: in der Amsterdamer Straße, wo eine Tafel an die beiden erinnert, in Plötzensee, in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wo man Fotos von ihnen sehen kann. Oder lesend. Oder im Kino.
Hans Fallada: „Jeder stirbt für sich allein.“ Aufbau-Verlag, 12,99 Euro.
Manfred Kuhnke: „Falladas letzter Roman“ Steffen-Verlag, 12,95 Euro.
„Alone in Berlin – Jeder stirbt für sich allein“: 16.2., 10 Uhr (HdBF), 12 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 18 Uhr Friedrichstadt-Palast, 18.2., 18.30 Uhr (Babylon)