Gewalt zwischen Paaren in Berlin: Nicht immer ist der Mann der Aggressor
Bei der Paartherapie der Caritas „Jetzt Mal Anders“ in Mitte soll Gewalt unter Ehepartnern verhindert werden. Was Frauen und Männer dabei lernen können.
Männlicher Täter, weibliches Opfer – dieses Bild haben Menschen häufig im Kopf, wenn von häuslicher Gewalt die Rede ist. Doch nicht alle Fälle sind gleich. "Es gibt durchaus auch Frauen, die ihre Männer dominieren, sie schlagen und demütigen. Das ist beidseitig möglich", sagt Dorothee Schilling, die im Rahmen der Paarberatung der Caritas "Jetzt Mal Anders – Ohne Gewalt" mit einigen solchen Fällen zu tun hat.
In der Großen Hamburger Straße 18 in Mitte sollen betroffenen Paaren Wege aufgezeigt werden, aus der Spirale beidseitiger Gewalt auszubrechen. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik ist häusliche Gewalt ein hauptsächlich männliches Phänomen.
So waren in Berlin 2018 nur 25,4 Prozent der Tatverdächtigen, aber fast 72 Prozent der Opfer von häuslicher Gewalt Frauen. In der Paarberatung werden jedoch nicht nur körperliche, sondern auch verbale und psychische Gewalt thematisiert.
"Am Beginn der Beratung könnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass es sich um patriarchale Gewalt vonseiten des Mannes handelt. Später merken wir dann, dass beide Partner gleichermaßen auf ihre Art gewalttätig sind", sagt Schilling.
Einige Frauen mit Gewalterfahrung wollen zurück zu ihrem Mann
Das kann Projektleiter Marcel Kruse bestätigen. Er wehrt sich gegen einseitige Zuschreibungen von Opfer und Täter. Für Männer sei das Thema oft mit Scham besetzt: "Wenn eine Frau Ihren Mann permanent klein hält und demütigt, Objekte von ihm zerstört, dann kann das ebenso schwer erlebt werden wie beispielsweise das Schubsen eines Mannes."
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Kruse hat vor Jahren im Rahmen eines Pilotprojekts der Caritas begonnen, Frauen zu beraten, die nach einer Flucht ins Frauenhaus wieder zu ihrem Mann zurück wollten. Erst später stellten er und seine Mitstreiter fest, dass bei vielen der betreuten Paare beidseitige körperliche und seelische Verletzungen vorlagen, die sogenannte situative Paargewalt.
Seit 2018 bietet der Deutsche Caritasverband Fortbildungen für Paarberater an, die sich speziell mit Beziehungsgewalt beschäftigen. Dorothee Schilling hat ebenfalls an dem Ausbildungsprojekt teilgenommen und wendet ihre Erfahrungen nun in der Praxis an.
Kernidee der Beratung ist es, eigene Lebenserfahrungen der Klienten zur Problemlösung zu nutzen. "Als ich das zum ersten Mal versucht habe, hat ein Vater plötzlich selbst das Problem ohne Zutun erkannt. Daraufhin fing er bei mir in der Sitzung an, vor Glück zu weinen. Ich war schon erstaunt, wie das geklappt hat", sagt Schilling.
Teilnehmer der Beratung geben positives Feedback
Ein Ehepaar, das mit "Jetzt Mal Anders" sehr positive Erfahrungen gemacht hat, möchte anonym über den Verlauf der Beratung sprechen. In ihrer Beziehung gab es noch keine körperliche Gewalt, aber sie standen kurz davor. "Es ging mir darum, Gewalt zu vermeiden", sagt die Frau ehrlich.
Beim Verein Frauenzimmer e.V. hatte sie von der Paarberatung "Jetzt Mal Anders" erfahren und sich sofort für einen Termin entschieden. Sie und ihr Mann wohnen in Mitte. Er ist Unternehmer und arbeitet oft bis spät in die Nacht.
Sie ist Akademikerin und muss sich dennoch weitgehend allein um den Haushalt und das zweijährige Kind kümmern. Wenn beide streiten, geht es in erster Linie um die Rollenverteilung, sagt die Frau: "Da mein Mann deutlich mehr verdient, hat seine Arbeit mehr Gewicht. Das ist unser Streitthema."
Beide waren sich schnell einig, dass es ohne Therapie nicht mehr weitergehen konnte. Nach den ersten Sitzungen sollten beide ehrlich sagen, was sie am Verhalten des anderen stört. Dabei wurde es mitunter sehr laut, es flossen Tränen.
"Für mich war es sehr hart, als meine Frau sagte, ich würde sie niedermachen", sagt der Ehemann. "Ich habe in Streitsituationen immer nachgebohrt, habe sie teilweise gehänselt. Das war alles unterbewusst."
Beide Seiten müssen an sich arbeiten
Im Laufe der Beratung lernen die beiden, mit ihren Emotionen besser umzugehen und auch ein klares Stoppzeichen des Partners zu akzeptieren. Allein schon des gemeinsamen Sohnes wegen wollen beide an sich arbeiten: "Wir hatten beide Eltern, die sich ständig gestritten haben. Darunter haben wir als Kinder sehr gelitten."
Ihrem eigenen Kind wollen sie lauten oder gar gewalttätigen Streit unbedingt ersparen. Inzwischen sind beide glücklicher mit ihrer Beziehung, gehen aber nach eineinhalb Jahren immer noch regelmäßig zu den Sitzungen, um sich über Probleme auszutauschen.
Was sie nun schaffen ist, Eigenheiten des Gegenübers anzuerkennen. Jeder, der etwas verändern wolle, könne das durch die Therapie bewältigen, glauben beide. Die Frau ergänzt: "Man muss erkennen: Nicht nur beim anderen läuft etwas falsch, sondern auch bei einem selbst."
Nicht alle Fälle laufen so glimpflich ab. Kritiker halten Paarberatungen bei Beziehungsgewalt sogar für risikoreich. Wenn eine Frau ihre Probleme in der Beratung ehrlich äußere, drohe ihr zu Hause Vergeltung durch den Mann.
Zwei Drittel der Paare können die Gewalt beenden
Bei manchen Paaren, die bei der Familienberatung vorstellig werden, hat die körperliche Gewalt tatsächlich ein gefährliches Ausmaß angenommen. "In einigen Fällen muss man sagen: In der Beziehung gibt es einen intensiv gewalttätigen Mann", gibt Marcel Kruse zu. "Auch so ein Paar hat natürlich Konflikte miteinander, aber man muss zunächst der Gewalt des Mannes Einhalt gebieten."
Ein Mann habe ihm beispielsweise gesagt, es sei "nur noch eine Frage der Zeit, bis Blut spritzt." Im Ernstfall müssen solche Paare an andere Beratungsstellen verwiesen werden.
Zum Glück sind das die seltensten Fälle. Rund zwei Drittel der Teilnehmer können die Gewalt laut Marcel Kruse erfolgreich beenden, sei es durch eine erfolgreiche Therapie oder durch Trennung. Nur das letzte Drittel beendet die Beratung vorzeitig.
Seine Erfahrungen ermutigen Kruse, weiterzumachen: "Man sagt ja oft: Wer einmal schlägt, schlägt immer wieder. Ich bin jedes Mal froh, wenn ein Paar das Gegenteil beweist."
Die Erziehungs- und Familienberatung der Caritas erreichen Sie telefonisch unter (030) 66 63 34 70 oder per Mail an familienberatung.mitte@caritas-berlin.de
Kai Gies