Strategien gegen das Wildpinkeln: Neue Klos für die Berliner Partymeile
In Berlin gibt es zu wenig öffentliche Toiletten. Und sie sind ungerecht verteilt. Lichtenberg arbeitet am WC-Atlas, Friedrichshain-Kreuzberg legt ein Bauprogramm auf - wenn das Geld reicht.
Lange Zeit hat sich in Berlin niemand für Toiletten interessiert, auch Danny Freymark nicht, CDU-Politiker aus Hohenschönhausen. Bis er die alarmierende Titelzeile einer Zeitung las: Aufzug kaputt gepinkelt. Dieser Aufzug lag mitten in seinem Wahlkreis, am Bahnhof Hohenschönhausen.
Freymark recherchierte, fand heraus, dass es am S- und Regionalbahnhof im Zentrum von Hohenschönhausen keine öffentliche Toilette gibt, in der Umgebung auch nicht. Der CDU-Politiker fragte beim Senat nach, wie denn die Toiletten so verteilt seien über die Stadt und gewann die ernüchternde Erkenntnis: sehr ungerecht. In Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es die meisten: 44, in Mitte immerhin noch 38, in Lichtenberg sind es die wenigsten: neun.
Die bezirkliche Toilettenverteilung stammt von 1993
Die Verteilung richtet sich offenbar nicht nach der Einwohnerzahl. Freymark vermutet, dass es mit dem geringeren Interesse der werbenden Wirtschaft an Hohenschönhausen zusammenhängt. Denn die Wall AG, die die meisten öffentlichen Toiletten in Berlin betreibt, wird vom Senat mit der Lizenz für Werbeflächen bezahlt. Das geht schon seit 1993 so. Je mehr Werbeflächen im Bezirk, desto mehr Toiletten für die Bewohner und Besucher.
Die zuständige Senatsverwaltung für Umwelt dreht sie Sache um: Die Standorte der City-Toiletten von Wall seien schon 1993 festgelegt worden, „an dem seinerzeit ermittelten Bedarf orientiert“. Die von den Bezirken zugelassenen Standorte für Werbeflächen würden sich an der Zahl der Toilettenstandorte bemessen und nicht umgekehrt.
Bei der Verteilung der Toiletten kam Lichtenberg 1993 schlecht weg, vielleicht, weil man Toiletten im Bezirk damals nicht so wichtig nahm. Der Senat freute sich, jedes Jahr Millionen für den Unterhalt von Toiletten einzusparen. Je nach Entwicklung der Werbeerlöse führte Wall sogar einen Teil der Einnahmen an Bezirke und Senat ab. Seitdem hat sich wenig getan. Seit Jahren wächst die Stadt, immer mehr Touristen kommen, aber die Zahl von 285 öffentlichen Toiletten blieb konstant. Das liegt auch am 2018 auslaufenden Vertrag mit Wall. Die Werbeerlöse bis dahin würden nicht mehr reichen, neue WCs zu finanzieren. Der Senat will den Toilettendeal neu ausschreiben, und Wall wird sich bewerben, mit einer "neuen Toilettengeneration". Der Bedarf an öffentlichen Toiletten werde weiter steigen, sagt Vorstandschef Daniel Wall.
Hightech-Toiletten kosten 100 000 Euro
Freymark will das zerstörerische Wildpinkeln im Bahnhof Hohenschönhausen aber nicht bis 2018 dulden. Er sucht nach Sponsoren. Eine vollautomatische Hightech-Toilette von Wall würde rund 100.000 Euro kosten. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg ist wildes Urinieren ein großes Problem. Besonders auf der Partymeile zwischen Schlesischer Straße in Kreuzberg und Revaler Straße in Friedrichshain werden Grünflächen und Hinterhöfe zu öffentlichen Latrinen. Anwohner beklagen sich über Lärm und Gestank. Zur Bewältigung der Folgen des Partytourismus arbeiteten Bezirk, Clubcommission, Dehoga und Visit Berlin an einem Konzept zum „stadtverträglichen Tourismus“. Ergebnis sind die Pantomimen, die abends besänftigend auf grölende Jünglinge einwirken – und neue Toiletten.
Vier Toilettenhäuschen auf der Partymeile
Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) will vier Toilettenhäuschen bauen lassen, die Ausschreibung sei raus, im Herbst könnte das erste Partyklosett stehen. Als Standorte hat der Bezirk die Grünanlage zwischen Schlesischer Straße und Oberbaumstraße, die Ostseite des Görlitzer Parks, den westlichen East Side Gallery-Park und die kleine öffentliche Grünfläche am RAW-Gelände bestimmt. Panhoff rechnet mit Kosten bis zu 40 000 Euro pro Toilette. „Mal sehen wie weit das Geld reicht.“ Offen ist auch, wie die Toiletten sauber gehalten werden. Auf jeden Fall sollen sie gratis sein.
In Lichtenberg basteln sie zurzeit an einen Toilettenatlas, der zeigt, wohin sich Passanten mit Harndrang wenden können. Der Atlas weist alle öffentlichen oder privaten Toilettenanbieter aus. Freymark lässt sein Bürgerbüro natürlich auch in den Atlas einstellen und hofft auf viele Nachahmer. Die Polizei mache mit und auch soziale Einrichtungen.
Aktion Nette Toilette beginnt in Lichterfelde-West
Bundesweit gibt es die Aktion „Nette Toilette“. Dabei unterstützen Kommunen Restaurant- und Ladenbesitzer, die ihre Toiletten gratis anbieten. Das sei viel billiger als öffentliche Toiletten aufzustellen und zu betreiben. In Süddeutschland machen schon viele Kommunen mit, im Osten fast keine. Die Bezirksverordneten von Steglitz-Zehlendorf haben vor kurzem ein Pilotprojekt in Lichterfelde-West beschlossen, auf Antrag der Piratenpartei. Dort gab es Beschwerden: viele Geschäfte, aber keine öffentliche Toiletten. Von einer finanziellen Unterstützung durch den Bezirk für jede „Nette Toilette“ ist allerdings nicht die Rede.
In der Begründung des Pilotprojekts taucht ein interessanter Satz auf: „Toiletten sind eine wichtige, öffentliche Daseinsvorsorge.“ In ähnlichen Fällen von Daseinsfürsorge – Wasser, Strom oder Wohnungen – fährt der Senat seit einigen Jahren einen klaren Kurs zur Rekommunalisierung. Nur nicht bei den Toiletten. Durchringen konnte sich Bausenator Andreas Geisel (SPD) nur, eine Toilettenpflicht für größerer Supermärkte einzuführen – sie gilt ab 2016.
Wohin zur Pinkelpause? Rathäuser und Gerichte
Der Senat müsse sich dringend mit dem Thema „Stadthygiene“ beschäftigen, findet Baustadtrat Panhoff. Die klobigen Wall-Toiletten mit ihrer aufwändigen Technik seien zu behäbig, zu teuer und schreckten viele Nutzer ab. Auch die Toilettenexpertin und Stadtführerin Anna Haase hält nicht viel von den Toiletten. „Für eine Busladung von Gästen ist das ganz ungeeignet, da passt ja immer nur eine Person rein.“ Haase fordert „große Toilettenanlagen“, die von der Stadt betrieben werden. Wie vor 1993, damals in der Regie der BSR. Wenn Haase eine größere Gästegruppe durch die Stadt führt, machen sie vor Rathäusern oder Gerichten eine Pinkelpause. Am Wochenende sei das Problem deutlich schwieriger zu lösen. Sozusagen notdürftig.