Gentrifizierung in Berlin: Neubauprojekt stößt auf Widerstand in Rigaer Straße
Zwischen friedlichem Protest und Vandalismus: In Friedrichshain droht ein Streit über das geplante "Carré Sama-Riga" zu eskalieren. Was kann der neue Baustadtrat tun?
Nur eine Nacht nachdem Unbekannte 21 Autos in der Tiefgarage eines umstrittenen Neubaus in der Rigaer Straße demoliert haben, ist es dort erneut zu Vandalismus gekommen. Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sahen gegen 1.50 Uhr Farbschmierereien an zwei Fahrzeugen und verständigten die Polizei. Die entdeckte, dass Unbekannte auch einen 20 Meter langen Bauzaun mit teils politischen Parolen besprüht hatten. Der Polizeiliche Staatsschutz ermittelt.
Im Fokus der Randalierer steht aber offenbar die Baubrache auf dem Areal der Rigaer Straße 71 bis 73. Im Sommer waren dort die vermutlich ältesten Gebäude der Straße abgerissen worden, nachdem zuvor der Denkmalschutz für das alte Firmengebäude aus dem Jahr 1875 aufgehoben worden war. Die entstandene Lücke will die CG Gruppe in den kommenden Jahren mit dem sogenannten "Carré Sama-Riga" füllen. Rund 130 Wohnungen und acht Gewerbeeinheiten sind geplant, aber noch ist nichts beschlossen.
Will man ein politisches Gewicht gegen Spekulation und deren Gentrifizierungsfolgen aufbauen, so bedarf es politischer Überzeugungsarbeit breiterer Teile der Gesellschaft. Radikalanarchistische Individualaktionen behindern den Politisierungsprozess.
schreibt NutzerIn graefekiez
Jeden Abend protestiert eine Gruppe friedlich an der Baustelle
"Die CG Gruppe sind typische Renditehaie, die die Sahne abschöpfen wollen", sagt Gudrun Gut. Sie wohnt seit 20 Jahren im Kiez und gehört zu einem Aktionsbündnis gegen das Projekt. Seit drei Wochen geht ein Aktionsbündnis aus Anwohnern jeden Abend zehn Minuten zur Baustelle und macht mit Töpfen, Trommeln und Trillerpfeifen Lärm gegen das geplante Carré – immer friedlich. Am Freitag sind 30 von ihnen bereits am Mittag gekommen. Neubauten, die Aufwertung der Straßenzüge und die damit verbundene Steigerung der Mieten sehen sie alle mit großer Sorge.
"So viele Freunde von mir mussten bereits den Kiez verlassen, weil sie ihn sich einfach nicht mehr leisten können", sagt eine Anwohnerin, die regelmäßig mit ihrem Sohn zum Protest kommt. Sie sieht den sozialen Frieden im Kiez in Gefahr. Tatsächlich ist die Straße gezeichnet vom Streit der letzten Tage. Auf Neubaufassaden sieht man Farbspritzer; Fensterscheiben sind zerborsten und davor stehen beschmierte Autos. An einem Bauzaun liest man in roter Farbe: "Wer hier kauft, kauft Ärger".
Doch die Straße ist auch gezeichnet von Vandalismus
Dass der Vandalismus der vergangenen Nächte das Kiez-Klima nicht gerade beruhigt, sehen auch die Anwohner – explizit distanzieren wollen sie sich aber nicht. "Wenn wir über Gewalt sprechen, müssen wir auch über die Gewalt sprechen, die wir Anwohner hier erleben", sagt Gudrun Gut und verweist auf den Gentrifizierungsdruck. Sie selbst hat gerade erst einen Rechtsstreit mit ihrem Vermieter vor Gericht austragen müssen. Gut hofft nun vor allem auf einen Mann: Florian Schmidt. Der ist neuer Baustadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg und verspricht mehr Bürgerbeteiligung und eine sozialere Bau- und Wohnpolitik.
"Meine persönliche baupolitische Bewertung für dieses Areal steht noch aus", sagte Schmidt auf Nachfrage. Er wolle aber Kontakt zu den Anwohnern aufnehmen. Bis in vier Wochen soll es eine Infoveranstaltung zu den baurechtlichen Schritten geben und auch für die gesamte Rigaer Straße hat das Bezirksamt nun ein Mediationsverfahren ausgeschrieben. Bis dahin bleibt der Kiez-Frieden erst mal in Gefahr.