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In der Stralauer Allee endete am Samstagabend der Zug der Liebe.
© Henrik Nürnberger

Zug der Liebe: Neu oder Neunziger?

Der letzte Nebel ist verzogen, der erste Zug der Liebe Geschichte. Ein Resümee zu Berlins neuer Technoparade, die an einen alten Mythos anknüpft.

Der Zug der Liebe sollte keine neue Loveparade werden, hatten die Veranstalter immer wieder betont. Und doch hatten die meisten Teilnehmer die Zeiten der Berliner Loveparade als diffuse Idee zumindest im Hinterkopf behalten, als der Zug am Sonnabend durch Friedrichshain zog.

Der Höhepunkt der Loveparade Ende der 90er Jahre besiegelte das Image von der grenzenlosen Feiermetropole und Techno-Hauptstadt, wie sie Berlin in den Augen vieler noch heute geblieben ist; ihr Ende schuf einen Mythos, der als solches auch in den Köpfen der heutigen Generation Feierwütiger überdauerte. Aktiv haben die heute U-25er nicht mehr an der Berliner Loveparade, die hier zuletzt 2006 stattfand, teilhaben können. Auch in meinem Kopf hat das Megaevent Spuren hinterlassen. Schuld daran ist vor allem eine Anekdote:

Die Siegessäule verbinde ich mit Techno

Es muss 1998 gewesen sein, als ich das Glück hatte, eine Loveparade zu erleben, obendrein zusammen mit meinem Opa. Zugegeben, unser Plan war mit dem Besuch des Berliner Zoos ein grundlegend anderer. Nur dafür kamen wir aus unserer mecklenburgischen Provinzstadt angereist. Sehr gut erinnere ich mich noch heute an die Überforderung meines Betagten und mir, zwischen all dem Müll und extrem lauter Musik einen Weg durch das uns suspekte Szenario zu bahnen. „Was ist denn hier los?“, fragte mein Opa eine Getränkeverkäuferin, die sich in ihrem ekstatischen Tanzstil nicht vom Rest der Masse unterschied. Ihre Antwort klang gleichermaßen irritiert: „Loveparade?“.

Das Erlebnis hatte nicht nur zur Folge, dass ich mit meinem Opa jährlich die Parade im Fernsehen gespannt verfolgte, sondern auch, dass ich, heute 25, die Siegessäule noch immer mehr mit Technokultur verbinde als mit Preußens Gloria. Elektronische Tanzmusik und Berlin – das passt zusammen.

Ausgelassene Feierfreude auf einem der bunten Wagen.
Ausgelassene Feierfreude auf einem der bunten Wagen.
© Henrik Nürnberger

Der Zug der Liebe war ein erster Vorschlag  

Nun also war es an der Zeit, fünf Jahre nach dem Horrorereignis von Duisburg und andernorts bisweilen gescheiterten Idee, den Berliner Mythos von der großen Technoparade im Zug der Liebe auferstehen zu lassen. Geschätzte 30.000 Menschen machen mit.

Doch auch der große Zuspruch half nicht, dass der Zug teilweise nicht über den Status einer in Berlin nicht unüblichen Latschdemo hinausging. Die Masse verteilte sich auf Kilometer. Auch die Route war gewöhnungsbedürftig. Einen improvisierten Charakter verstrahlten die Wagen, zu denen wohl auch Papis Gerüstbaufirma einige PS beisteuerte. An den Turntables fehlten prominente Akteure der Szene. Die politischen Botschaften, auf die die Initiatoren viel Wert legten, prangten etwas lieblos und bemüht an den Wagen oder an Schildern einiger weniger Enthusiasten.

War der Zug der Liebe also ein Misserfolg? Keineswegs. Der Zug startete vom Nullpunkt, als hätte jemand zuvor den Reset-Knopf gedrückt. Er war ein erster Vorschlag und Aufruf zugleich, das Beste aus der Idee, diesem Mythos, zu machen.

Nah dran an der Ursprungsidee

Klassische Raver haben als breite Jugendkultur ausgedient. Sicher hat auch Techno nicht mehr die integrative Kraft für eine heterogener gewordene Jugend. Schon allein deshalb sind allzu gewagte Vergleiche zur Loveparade ungerecht. Viel mehr noch setzt der unkommerzielle und bescheidene Charakter mit dem Verzicht auf große Sponsoren auf ein kraftvolleres Statement, das nicht weniger zeitgemäß ist. Der Zug der Liebe ist gewissermaßen das Anti-Modell zu einer überkommerzialisierten Loveparade, die in den letzten Jahren nicht mehr war als eine Karikatur ihrer Ursprungsidee. Der Zug verstand es hingegen gut, die alte Idee des Party-Protests aufzugreifen.

Ein Protest „für mehr soziales Engagement, Mitgefühl und Nächstenliebe“ sollte laut den Veranstaltern auf die Straße gebracht werden. Nicht Wenigen war die starke Betonung des Politischen, die Zusammenarbeit mit Flüchtlingsinitiativen und anderen Wohltätigkeitsvereinen, zu ausladend. Doch vielleicht ist der heutigen Generation in Zeiten von Pegida und Brandanschlägen auf Asylbewerberheimen nicht mehr danach, ein Motto lediglich als vorgeschobenen Anlass zu nehmen, um auf der Straße feiern zu können. Denn was wäre wirklich neu gewesen an einer Technoparade, die nicht zumindest auch versucht, ein Signal in die Welt zu entsenden? Sie wäre sicher nicht mehr als ein weiteres seelenloses Open Air großer Sponsoren und Namen, wie sie in Berlin und anderswo überall stattfinden.

Und selbst wenn der Mythos von der Techno-Hauptstadt in Gestalt einer großen Straßenparade nicht mehr lebendig wird und es nicht für die totale Ekstase reicht, so bleibt zumindest ein heiterer Sommertag mit Freunden im Gedächtnis. Kein Grund, um vom Scheitern zu reden.

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Henrik Nürnberger

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