Gemeinsame Sache in Neukölln 2017: Neu-Berliner geben Sprachkurse
Beim Verein „Give something back to Berlin“ engagieren sich Neu-Berliner für Neu-Berliner.
Alles begann am Oranienplatz: Lucy Thomas, eine energische Britin mit strahlend blauen Augen, war neu in Berlin. Hier traf sie, die für ein Masterstudium nach Berlin gekommen war, Annamaria Olsson, die zuvor den Verein Give Something Back To Berlin (GSBTB) gegründet hatte. Jetzt ist Thomas die Geschäftsführerin des Vereins, der unter anderem Menschen hilft, die auf der Flucht vor Krieg und Hunger ebenfalls neu nach Berlin gekommen sind. Anfangs gab es gemeinsame Kochevents am Oranienplatz, mittlerweile hat der Verein eine offene Musikschule und Künstlervermittlung, ist stadtweit mit ehrenamtlichen Initiativen vernetzt und organisiert Diskussionen mit Kiezpolitikern und Neu-Berlinern.
Verständigung mit Neu-Berlinern
Neu-Berliner. Dieser Begriff ist Thomas wichtig: „Wir wollen Menschen die Möglichkeit geben, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen, egal ob sie drei Wochen in Berlin sind oder drei Jahre.“ Ob sie aus dem Vereinigten Königreich oder Syrien kämen, in erster Linie würden sie Anschluss suchen. „Die Motivation mag unterschiedlich sein. Aber viele möchten sich nützlich fühlen und der Stadt etwas zurückgeben.“ Die Neu-Berliner würden realisieren, welches Privileg sie als oft reichere Zugezogene in dieser Stadt haben und engagieren sich ehrenamtlich, wie Thomas damals, um für die weniger Privilegierten da zu sein. Lucy Thomas und andere Aktivisten werden deshalb auch am Aktionstag „Gemeinsame Sache“ mitmachen.
Vor zwei Jahren schloss sich GSBTB dem Haus- und Kulturprojekt „Refugio“ an. Das Gebäude hat fünf Geschosse, in dreien von ihnen leben Geflüchtete, Studenten und Familien in WGs. Im Erdgeschoss ist ein lauschiges Café und ein großer Veranstaltungssaal, auf der Dachterrasse ein blühender Garten. „Wir bespaßen das Refugio“, sagt Thomas lachend und verweist auf die Vielzahl von regelmäßigen GSBTB-Angeboten, die täglich im Haus stattfinden.
Sprachcafé für "Beginners"
Am Mittwoch findet das Sprachcafé auf Deutsch statt. Frey kommt heute zum ersten Mal vorbei, vor sechs Wochen ist er aus Edinburgh in Berlin gelandet. Im großen Saal des Refugio packt den Schauspieler das Lampenfieber. „Ich bin noch richtiger Anfänger“, sagt Frey. Trotzdem setzt er sich bald zu einem der weißen Holztische, auf denen Papierkärtchen das Sprachniveau „Beginners“ markieren. Hier sitzt eine gemischte Gruppe Neu-Berliner mit einem geduldigen Lehrer. Auch die anderen Tische sind bald voll besetzt, von Sprachniveau A1 bis C2 ist alles dabei. Frey wird mutig und probiert sein Beginner-Deutsch.
Die Stadt und ihre neuen Bewohner zu vernetzen, so misst sich der Erfolg von GSBTB, nebst zahlreicher internationaler Preise für ihre Arbeit. Es scheint kurios, aber für Lucy Thomas ist es auch ein Erfolg, wenn Teilnehmer nach einer Zeit weniger häufig bei Veranstaltungen erscheinen. „Das bedeutet, dass sie mittlerweile gut in Berlin angekommen sind. Über GSBTB finden sie neue Freunde und Kontakte, vernetzen sich, finden Praktika und Jobs“, erklärt sie.
Das Refugio war einmal ein Kloster mitten in Neukölln. Tritt man aus dem Gebäude wieder auf die Straße, in den Lärm zwischen Kottbusser Damm und Hermannplatz, merkt man, wie friedlich es drinnen ist. Noch heute ist es ein Refugium, für Menschen, die erst mal ankommen müssen in der Großstadt, in Ruhe.
Tanzen auf der Dachterrasse
Vor allem geht es aber auch darum, Spaß bei der Sache zu haben. Das sieht man besonders den Frauen an, die an diesem Mittwochabend auf der Dachterrasse des Refugio zusammen tanzen, quatschen und Selbstgekochtes probieren. Eine Veranstaltung nur für Frauen und Kinder ist das „Open Art Shelter“, ein großer, bunter Mix an Teilnehmerinnen und Programm.
Ishfa Khurram, eine junge Pakistanerin, malt gegen Spenden Hennatattoos auf die Hände der Teilnehmerinnen. Die Künstlerin geht noch zur Schule, dieses Jahr kommt sie von der Willkommensklasse in eine „normale“ Schule. „Ich bin schon aufgeregt und werde meine Freunde aus der Willkommensklasse vermissen“, sagt Khurram. Während sie spricht, drückt sie mit großer Konzentration und Geschicklichkeit die floralen Motive aus brauner Paste auf die Hand.
Die Musik läuft von Smartphones der Frauen über einen Verstärker. Fotos sind bei den Veranstaltungen des „Shelter“, das auch ein wöchentliches Malprogramm in der Unterkunft auf dem Tempelhofer Feld betreibt, nicht erlaubt. Seitdem das eingeführt wurde, sagt Thomas, fühlten sich die Frauen sicherer und könnten besser loslassen. Es funktioniert: Auf der Terrasse entsteht ein Tanzkreis, ausgelassen tanzen somalische, afghanische und amerikanische Frauen.