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Schnittig. Die Modemacherinnen Isabell de Hillerin arbeitet lieber in Neukölln als im teuren Mitte.
© Björn Kietzmann

Modestadt Berlin: Netze weben in Neukölln

Das Herz der Berliner Modeszene schlägt in Mitte. Doch die jungen Designer arbeiten lieber abseits des Zentrums. Ein Rundgang.

Am Kiehlufer, wo sich die Bezirke Neukölln, Kreuzberg und Treptow berühren, arbeitet die Modedesignerin Isabell de Hillerin. „Motten fliegen ins Licht“ steht an der Scheibe des Schaufensters geschrieben, und warm leuchtet es aus dem Gemeinschaftsbüro in den neblig grauen Morgen heraus. De Hillerin öffnet die Tür und hält einen aufgeregten Hund zurück, „der bewacht das Büro“, sagt sie lächelnd. Zusammen mit einigen Freunden mietet sie die Räume im Erdgeschoss, wo sie mit ihren Assistentinnen zwei Damenkollektionen im Jahr auf die Beine stellt.

Besonderes Markenzeichen sind handgewebte Stoffe und Stickereien, die die Designerin in Moldawien und Rumänien, dem Land, aus dem auch ihre Eltern stammen, herstellen lässt. Ihr Label ist fast noch ein Geheimtipp, aber zunehmend in Modemagazinen und auf Messen zu finden. Zum ersten Mal wird sie die neuen Entwürfe kommende Woche bei der Mercedes Benz Fashion Week im Zelt vor dem Brandenburger Tor präsentieren.

2009 ist sie nach Berlin gekommen, nach einem Modedesign-Studium in Barcelona. In Berlin konnte sie ihre Abschlusskollektion auf einer Messe vorstellen und bekam daraufhin viele Anfragen, wo es die Teile zu kaufen gebe. Also beginnt de Hillerin mit ihrem eigenen Label, zuerst von ihrer Kreuzberger Wohnung aus, später am Kiehlufer. „Eine ruhige Ecke, in der ich mich total wohlfühle“, sagt die gebürtige Münchnerin. Sie gehört zu einer Riege junger Designer, deren Studios man hauptsächlich in Kreuzberg und Neukölln findet: Duo Augustin Teboul zum Beispiel in der Nähe des Neuköllner Rathauses, Issever Bahri und Hien Le am Schlesischen Tor, oder auch die „grünen“ Labels Treches und Format in der Weserstraße.

Aurelia Paumelle.
Aurelia Paumelle.
© Thilo Rückeis

„Viele wollen weg vom Hotspot Mitte“, so die Beobachtung von de Hillerin. Und das liegt nicht nur an den niedrigeren Quadratmeterpreisen. „Am Anfang waren es vielleicht die Mieten, aber gerade Kreuzberg ist auch nicht mehr so billig.“ Warum sich die Nachwuchsdesigner gegen Mitte entscheiden, hängt auch mit der Struktur des Standorts zusammen: Die Szene-Kneipen, Underground-Clubs und Trash-Läden, die Mitte nach der Wende seinen Ruf als hippes Zentrum einbrachten, sind längst verschwunden. Am Hackeschen Markt reihen sich vor allem Flagshipstores und H&M-Ableger aneinander. Weiter nördlich findet man zahlreiche Berliner Designer, allerdings die etablierten unter ihnen wie Kaviar Gauche, Lala Berlin oder Claudia Skoda. Für jüngere Designer am Anfang ihrer Karriere ist ein Studio oder gar ein Laden in dieser Gegend unerschwinglich. Sie sind nur in einigen darauf spezialisierten Läden vertreten, wie Apartment, Temporary Showroom oder Konk, wo man auch Kleidung von Isabell de Hillerin bekommt.

Nach passenden Einzelhändlern, die ihre Produkte verkaufen wollen, sucht Aurelia Paumelle noch. Die Designerin wird zur Fashion Week mit ihrer Männer-Kollektion auf der Messe „Seek“ vertreten sein: Körperbetonte Schnitte, die auch Frauen gut stehen. Bis vor einigen Wochen teilte sie sich mit Künstlern ein Loft am Paul-Lincke-Ufer als Arbeitsplatz, nur ein paar Minuten zu Fuß von de Hillerins Studio entfernt. „Bis der Vermieter das Haus an ein Fitnessstudio verkauft und uns rausgeschmissen hat“, so die Designerin, die 2009 aus Paris hergezogen ist. In Frankreich arbeitete sie als Schnittdirektrice für Sonia Rykiel, Yves Saint Laurent und andere namhafte Haute-Couture-Häuser. Gut bezahlt, aber nicht erfüllend. So fing sie bei einem Designer in Mitte an, „allerdings für so wenig Geld, dass ich es lieber allein versuchen wollte“, sagt Paumelle rückblickend.

In der alten Kindl-Brauerei arbeitet Aurelia Paumelle.
In der alten Kindl-Brauerei arbeitet Aurelia Paumelle.
© Doris Spiekermann-Klaas

Nun ist sie mit Nähmaschinen, Stoffrollen und Schnittbögen in einem engen Raum in der alten Kindl-Brauerei in Neukölln untergekommen, sucht aber weiter nach einer neuen, größeren Bleibe. Auf jeden Fall in der Nähe. „Hier habe ich mein Netzwerk“, sagt die 36-Jährige, „den Techniker für die Nähmaschine beispielsweise oder einen türkischen Schneider, mit dem ich oft zusammenarbeite“. Unterstützung findet sie auch bei Nemona, dem „Netzwerk Mode & Nähen Neukölln’“, das Designer berät und mit lokalen Produzenten wie Näherinnen, Strickerinnen oder Druckwerkstätten zusammenbringt. Die EU-geförderte Initiative übernimmt unter anderem Öffentlichkeitsarbeit für ihre Mitglieder und stellte ihnen Ende 2012 einen temporären Laden zur Verfügung.

Besonders in Neukölln finden junge Modedesigner also derzeit ideale Startbedingungen. Noch – denn die Nachfrage nach bezahlbaren Räumen ist auch hier immens gewachsen. Mag sein, dass auch in dieser Gegend, die einzelne Modepioniere interessant gemacht haben, in einigen Jahren neue Shoppingmeilen entstehen. Spätestens dann wird sich die nächste Generation der jungen Kreativen umorientieren und weiter an den Stadtrand oder in einen weniger erschlossenen Stadtteil ziehen.

Regina Lechner

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