Debatte um rechtsextreme Parteimitglieder: Nerz: "Wir haben kein rechtes Problem in der Piratenpartei"
Mit seiner Kritik am Umgang der Piraten mit Rechtsextremen ist der Chef der Berliner Piraten, Harmut Semken, auf heftigen Widerstand gestoßen. Jetzt versucht er, die Wogen zu glätten. Doch eine Entschuldigung dürfte seinen Kritiker wohl kaum genügen.
Hartmut Semken sieht sich mit Rücktrittsforderungen aus der eigenen Partei konfrontiert. Oliver Höfinghoff, Mitglied des Abgeordnetenhauses, und zwei andere prominente Berliner Piraten, Philip Brechler und Stephan Urbach, haben Landeschef Hartmut Semken in einem offenen Brief zum Rücktritt aufgefordert. "Wir fordern dich auf zurückzutreten und eine LMV [Landesmitgliederversammlung, die Redaktion] einzuberufen, bei der es nur einen TOP gibt: Neuwahl des ersten Vorsitzenden, eventuelle Neuwahl von anderen freigewordenen Posten. Es geht uns nicht darum dich dort öffentlich vorzuführen oder gar Kalif anstelle des Kalifen zu werden, wir versichern dir, wir werden nicht kandidieren."
Hintergrund der Debatte ist ein Text, den Semken vor einigen Tagen auf seinem privaten Blog zur Debatte um den Umgang der Piraten mit Extremisten in den eigenen Reihen veröffentlicht hatte. Semken hatte unter anderem geschrieben: "Aber ich kann dieses „wir müssen uns abgrenzen gegen Rechte Ansichten“ nicht mehr hören. ... Wenn Du da nicht „alle Rausschmeissen, am besten an den Eiern aufhängen“ twitterst - dann bist Du unmittelbar ein Verharmloser, Relativierer, ja heimlicher Symathisant, der nur den richtigen Faschisten und Nazis den Weg bereiten will, die Piraten zu übernehmen."
Semken sieht das mittlerweile als Fehler. „Ich habe viele Leute sehr verletzt mit meinen Worten, was ich so nicht erwartet hätte, und das tut mir jetzt sehr leid“, sagte er dem Tagesspiegel. Ob er zurücktreten werde, wisse er noch nicht. „Aber wenn sich alle etwas beruhigt haben und sich die Waage zwischen den ,hau ab’- und den ,bleib da’-Reaktionen vom aktuell überwiegenden ,bleib’ wegneigt, dann werde ich natürlich zurücktreten“, sagte Semken. Er trete rechtsextremem Gedankengut entschieden entgegen. „Nichts liegt mir ferner, als Rechtsextreme einzuladen, der Piratenpartei beizutreten. Aber wir müssen einen Weg finden, mit denen umzugehen, ohne dass es einem Lynchmob gleichkommt.“ Ihm wäre es lieber, „wir würden als Piratenpartei ein Programm entwickeln und vorleben, das Menschenverachter so anekelt, dass sie ganz von allein gehen“. Die Piratenpartei habe 25.000 Parteimitglieder und keine Vorab-Prüfung. "In der Gesellschaft vorhandene Probleme importieren wir daher ungefiltert, Personen mit rechtsradikalem Gedankengut haben wir also mit hoher Wahrscheinlichkeit dabei und müssen sie nun wieder loswerden. Dafür benötigen wir Verfahren, die zunächst verhindern, dass die Progammatik und Handlungen der Partei von solchem Gedankengut beeinflusst werden."
Martin Delius fordert klare Worte von Semken
Martin Delius, parlamentarischer Geschäftsführer der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, hält die Äußerungen von Semken für "extrem fragwürdig". Relativierende Äußerungen bei diesem Thema seien "völlig falsch und kontraproduktiv", sagte er dem Tagesspiegel. "Ich kann die Bestrebungen, die zum Ziel haben, den Fall zu klären und auch vor Rücktrittsforderungen nicht zurückschrecken, sehr gut nachvollziehen." Delius wäre es am liebsten, wenn Semken in einen konstruktiven Dialog träte und die Sache nicht weiter eskalieren würde. "Aber klar: Semken muss sich bewegen". Delius sagt weiter: "Wir müssen mit diesem Thema offen und ehrlich umgehen." Auch vom Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz wünscht er sich klar Worte. "Wir müssen alle als Piratenpartei zwei Dinge klar sagen: Dass wir eine Partei sind, in der rechtsextreme Tendenzen keinen Platz haben und auch, dass wir zurzeit ein Problem damit haben."
Nerz aber sieht kein prinzipielles Problem. "Die Piratenpartei ist kein Auffangbecken für rechtsextreme Tendenzen", sagte er dem Tagesspiegel. "Wir haben kein rechtes Problem in der Piratenpartei, aber wir müssen noch den richtigen Umgang mit solchen Äußerungen finden", sagte Nerz weiter. Aber er mahnt seine Partei auch zur Ruhe. "Andererseits dürfen wir jetzt auch nicht jede Äußerung überbewerten und als rechtsextrem einstufen. Bei uns wird über jeden Fall sehr breit und intensiv diskutiert, weshalb wir damit auch sehr transparent umgehen und es kein Problem in der Piratenpartei gibt."
Auch außerhalb der Piratenpartei gibt es Kritik am Umgang mit rechtsextremen Äußerungen. Bundestagsvizepräsident Wolfang Thierse (SPD) sieht in den Auseinandersetzungen um rechtsradikale Sprüche von Piraten-Mitgliedern einen Test für die Entwicklung der neuen Partei. Thierse sagte dem Tagesspiegel mit Blick auf den Fall des rheinland-pfälzischen Mitglieds Bodo Thiesen, das trotz umstrittener Äußerungen zum Holocaust nicht aus der Piratenpartei ausgeschlossen worden war: "Dieser Vorgang ist ein Testfall darauf, wie inhaltsleer und unverbindlich die Piraten bleiben wollen oder ob sie die Kraft finden, Profil zu zeigen, also sich an den Seiten eindeutig inhaltlich abzugrenzen, gegen Rechtsextremismus und Linksextremismus." Die sächsische Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika Lazar, Rechtsextremismus-Expertin ihrer Fraktion, meinte, die Piraten würden sich vom demokratischen Grundkonsens abwenden, "wenn sie keine klare Absage an Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus hinbekommen". Sie sagte dem "Tagesspiegel": "Mit ihrer Grauzonentaktik fischen sie am ,rechten Rand' und fördern so rechtspopulistische und menschenverachtende Haltungen. Ich fordere Parteichef Sebastian Nerz auf, intensiver gegen solche geschichtsvergessenen Mitglieder vorzugehen."
Im Piraten-Wiki, einer wichtigen Informationsplattform der Partei, ist mittlerweile ein Schreiben aufgetaucht, in dem Semken Unterstützung ausgesprochen wird. "Wir fordern dich, Hartmut auf nicht zurückzutreten und keine LMV einzuberufen, weil ein paar notorisch unzufriedene Nörgel der Meinung sind dich absetzten zu wollen. Es geht ihnen lediglich darum dich dort öffentlich vorzuführen und gar einen für sie passenden Kalif anstelle des Kalifen einzusetzten, wir versichern dir, wenn nicht sie selbst, werden Sockenpuppen anstelle ihrer kandidieren." Das Schreiben ist bisher von niemandem namentlich unterzeichnet. Allerdings schreibt Christiane Schinkel, stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands, an Semkens Adresse gerichtet: "Ich stehe hinter Dir, auch wenn ich nicht hinter dem Blogpost stehe."