Marzahn und Kreuzberg: Neonazi-Aufmarsch blockiert und beendet - Silvio-Meier-Demo friedlich
Tausende Gegendemonstranten haben in Marzahn einen Neonazi-Aufmarsch blockiert. Als es doch losging, geriet der Polizei die Lage außer Kontrolle. Doch bald gaben die Rechtsradikalen auf. In Friedrichshain-Kreuzberg verlief die Silvio-Meier-Demo ohne Zwischenfälle.
Es gab keinen Ausweg. Rundherum waren alle Straßen und Kreuzungen in Marzahn von rund 2500 Gegendemonstranten besetzt. Deshalb konnten etwa 800 Neonazis und Anwohner am Sonnabend ihre Demonstration gegen Asylbewerber und Flüchtlingsheime durch den Bezirk Marzahn-Hellersdorf erst zwei Stunden verspätet beginnen. Als es schließlich gegen 17 Uhr losging, mussten sie den Aufmarsch wegen der vielen Gegner, die ihnen überall entgegenkamen, schon nach kurzer Zeit abbrechen. Auf der Kreuzung Raoul-Wallenberg-Straße/Landsberger Allee machten sie eine Kehrtwende und liefen zurück zum S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße, um ihren Protestzug dort aufzulösen, Auf dieser etwa 600 Meter langen Strecke kam es dann plötzlich zu chaotischen Szenen. Der Polizei geriet die Lage außer Kontrolle, gewaltbereite Gegendemonstranten durchbrachen die Polizeiketten, kamen ganz nah an die Rechtsextremen heran, Böller und Flaschen flogen, es gab Verletzte. Bevor die Gewalt noch mehr aufflammen konnte, erreichten die Neonazis den Bahnhof und erklärten dort ihre Veranstaltung kurz vor 18 Uhr für beendet. Zur selben Zeit eilte die linksautonome Szene schon zum nächsten Termin: Der alljährlichen antifaschistischen Silvio-Meier-Demo in Friedrichshain. Bislang verlief dort alles friedlich.
Rund 1700 Beamte schirmten die Neonazis ab
Die Polizei war schon am frühen Nachmittag mit einem massiven Aufgebot von rund 1700 Beamten im Einsatz. Die Gegner der Demonstranten waren eine bunte Mischung aus Grünen, Sozialdemokraten, Autonomen und Antifa-Mitgliedern. Auch SPD-Landeschef Jan Stöß war gekommen. Gegen 15 Uhr warteten bereits rund 2500 Gegendemonstranten auf ihren Auftritt, anfangs noch etwas zersplittert, dann aber im gesamten Umkreis immer besser koordiniert. Bei der Anti-Asylbewerber-Demo hatten sich bis 14.30 Uhr bereits etwa 250 Personen eingefunden, jeweils etwa zur Hälfte Neonazis und Anwohner.
Etliche Anwohner unterstützten die Ziele der Rechtsextremen
Zu Letzteren gehörten teils Familien mit Jugendlichen und Teilnehmer jeden Alters. Sie wurden erst nach einer Durchsuchung, etwa auf Flaschen, zum Sammelplatz durchgelassen. Etliche hielten selbstgemalte Plakate hoch mit Parolen wie: "Wir sind Anwohner und keine Neonazis!" Viele stellten klar, dass sie „keine Neonazis“, sondern normale Anwohner seien, die nur „Nein zum Flüchtlingsheim“ sagten. Ohnehin waren nur Deutschland- oder Bezirksfahnen zu sehen, keine NPD-Embleme.
Eher ruhig und gelassen hatte der Nachmittag begonnen. So hätte beispielsweise eine aus dem Brandenburgischen angereiste, schon erheblich bezechte Gruppe von Neonazis erst an der S-Bahn-Station Raoul-Wallenberg-Straße in Marzahn aussteigen müssen, um von dort aus zu Fuß den Sammelpunkt ihrer Demonstration gegen Asylbewerber zu erreichen. Aber einer aus dem Zehnertrupp, offenbar eine Art Anführer und noch klarer im Kopf, ließ sie schon in Springpfuhl, drei Stationen vorher, aussteigen und bereits dort in die Tram wechseln. So konnten sie hoffen, die erste Konfrontation mit den bereits am S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße wartenden Gegendemonstranten zu umgehen. Der Wortführer der Gruppe hatte einige Mühe, diese halbwegs ruhig zu halten. Man möge sich zurückhalten, man sei hier in der S-Bahn, mahnte er sie mehrfach: „Nachher auf der Demo könnt ihr machen, was ihr wollt.“
Das versprach nichts Gutes für den Demonstrationszug der Rechten, die von der Wallenberg-Straße über 7,5 Kilometer bis zum Alice-Salomon-Platz nahe dem U-Bahnhof Hellersdorf marschieren wollten. Viele Mitglieder gaben sich auch sehr selbstbewusst und suchten erste Auseinandersetzungen mit der Antifa. Auch rund 30 Hooligans waren darunter. Anfangs erreichte die Polizei aber ihr erklärtes Ziel, die verfeindeten Parteien auf Abstand zu halten. Das bei solchen Gelegenheiten übliche Katz- und Maus-Spiel konnte sie verhindern. Auch ein Hubschrauber war im Einsatz. Und an der Kreuzung Landsberger Allee waren zwei Wasserwerfer aufgefahren – Vorbereitungen auf den für 15 Uhrerwarteten Start.
Linksextreme durchbrachen die Polizeiketten
Aber dann ging es wegen der vielen Blockaden ringsherum erst gegen 17 Uhr los. Zu diesem Zeitpunkt war der Zug der Neonazis und Anwohner schon etwa auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Auch auf Seiten der Gegendemonstranten waren etliche gegangen. Dennoch blieb unklar, wohin sich die Rechtsradikalen wenden könnten. Der starker Widerstand bewog die verbliebenen Teilnehmer dann rasch zur Umkehr Richtung S-Bahnhof. Sie machten eine 180-Grad-Kehre - und ab diesem Moment lief bei der Polizeiführung offenbar etwas schief. Auf dem Weg zurück stießen Gegendemonstranten nach, drängten Polizisten ab, die Lage wurde zunehmend verworren. Die Gegenparteien kamen sich so nah, wie es die Polizei sonst nie zulässt. Zeitweise wurden die Demonstranten von Autonomen verfolgt, sahen sich schon nach wenigen 100 Metern dem nächsten gegnerischen Block gegenüber, waren von allen Seiten eingekesselt.
Wurfgeschosse flogen hin und her
Schließlich liefen auf dem rechten Gehweg der Raoul-Wallenberg-Straße die Rechtsextremen, auf dem linken Gehweg die Linken, getrennt nur von wenigen Polizisten. Wurfgeschosse flogen hin und her, ein Neonazi wurde von einer Flasche am Kopf verletzt. Ein aus den Reihen der Demo-Gegner geworfener Böller detonierte in der Nähe eines Polizisten, der vermutlich ein Knalltrauma erlitt und von Kollegen weggeführt wurde, auch ein Gegendemonstrant, vielleicht der Werfer, wurde von Beamten abgeführt. Schließlich erreichte der Aufzug den nahen S-Bahnhof und löste sich dort auf. Die Polizei wünschte den Teilnehmern per Lautsprecher "eine gute Heimreise". Diese traten die meisten Neonazis mit der S-Bahn an. Kaum waren die Züge mit ihnen abgefahren, machten sich auch die meisten Gegendemonnstranten auf den heimweg oder fuhren zur Silvio-Meier-Demo in Friedrichshain.
Silvio-Meier-Demo in Friedrichshain begann friedlich
Dort hatten sich am einstigen Tatort, dem U-Bahnhof Samariterstraße, rund 1000 Linksautonome versammelt, deren Zahl aber rasch auf mehr als 1600 Teilnehmer anwuchs.
Sie hatten sich eine lange Strecke vorgenommen. Durch den Kiez der nahen Silvio-Meier-Straße sollte es über die Warschauer Straße zur Oberbaumbrücke gehen und von dort an der von Flüchtlingen besetzten Schule in der Ohlauer Straße vorbei weiter bis zu einer Abschlusskundgebung am Spreeplatz. Motto: "Es geht ums Ganze". Die traditionelle Demo soll zwar seit 1992 an den in diesem Jahr von Neonazis erstochenen früheren Hausbesetzer Silvio Meier erinnern, hat aber auch immer aktuelle Themen wie beispielsweise die Gentrifizierung. Bis zum Ende verlief der Umzug weitgehend friedlich. Offenbar hatten viele Teilnehmer, die zuvor auch schon in Marzahn gewesen waren, keine so rechte Lust mehr. Es gab die übliche begleitende Folklore, viel Feuerwerk wurde in die Luft geschossen, Bengalische Lichter flammten auf Balkonen entlang der Strecke auf. Die Polizei begleiteten den Umzug mit massiven Kräften. Es gab keine Festnahmen, nur kleinere Rangeleien, wie die Polizei abschließend mitteilte. Um 20.51 erklärten die Veranstalter den Umzug für beendet.