Berlins Justizsenator will mehr Freiheiten für Geimpfte: „Natürlich spricht nichts dagegen, wenn sich zehn Geimpfte treffen“
Auch Dirk Behrendt will die Grundrechtseinschränkungen für Geimpfte beenden. Darunter fallen vor allem Kontaktbeschränkungen, Reise- und Quarantäneregeln.
Berlins Justizsenator hat eine Rücknahme der Freiheitsbeschneidungen für zweifach geimpfte Menschen gefordert. Er sagte dem Tagesspiegel am Mittwoch: „Wir können nicht die Freiheit von Menschen beschneiden, wenn keine relevante Infektionsgefahr mehr besteht.“ Damit reagierte der Grünen-Politiker auf neueste Erkenntnisse des Robert Koch-Instituts (RKI), wonach Geimpfte nicht nur selbst gegen Covid-19 geschützt, sondern auch nicht mehr infektiös für alle anderen sind.
Die Zeiten, in denen man die Grundrechte für alle einschränken könne, seien durch die neuesten Erkenntnisse des RKI vorbei, sagte Behrendt. „Ich erwarte deshalb, dass die Gesundheitsverwaltung zeitnah Vorschläge vorlegt, wie Grundrechtseinschränkungen für zweifach Geimpfte zurückgenommen werden können.“ Er fragte: „Was spricht dagegen, dass sich zwei geimpfte Krankenpflegende nach ihrer Schicht noch auf ein Bier treffen?“
Vorstellbar seien in einem ersten Schritt Lockerungen bei Reise- und Quarantäneregeln. „Natürlich spricht auch nichts dagegen, wenn sich zehn Geimpfte miteinander treffen“, sagte Behrendt. „Wenn wir nicht selbst reagieren, werden uns Gerichte dazu drängen.“
Das sei ärgerlich für all die, die keine Impfung haben. „Aber diesen Konflikt kann man nicht darüber auflösen, dass man den Leuten die Freiheit verwehrt, die keine Gefahr mehr für andere darstellen“, sagte der Justizsenator, der selbst Richter ist.
Zuvor hatte sich schon Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) im Tagesspiegel dafür ausgesprochen, dass Geimpfte schneller ihre Freiheiten zurückerhalten, Berlin solle dabei vorangehen. „Es gibt keinen Grund, die Einschränkungen der Grundrechte für Geimpfte aufrechtzuerhalten“, sagte sie.
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Die zuständige Gesundheitsverwaltung reagierte auf Tagesspiegel-Anfrage zurückhaltend: „Die Zuständigkeit für diese Fragen liegt auf der Bundesebene, das Land Berlin richtet sich nach den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts“, teilte Sprecher Moritz Quiske mit.
Aber auch Linkspartei und SPD stellten sich hinter Pops Vorschlag. Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Sebastian Schlüsselburg, sagte dem Tagesspiegel: „Die Rücknahme von Grundrechtseinschränkungen ist kein Privileg, sondern eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit.“
Am 21. April soll es deshalb im Rechtsausschuss eine Anhörung mit führenden Rechtswissenschaftlern und Medizinern geben. Sollten sich die Erkenntnisse des RKI bestätigen, dass Geimpfte nicht oder kaum ansteckend sind, müsste das Land Berlin umgehend reagieren.
Bayern hat Lockerungen für Geimpfte schon beschlossen
Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und selbst Rechtsanwalt, erklärte: „Wer geimpft ist, braucht seine Freiheit und Grundrechte zurück, das gilt im Übrigen auch für Genesene.“ Die Hauptstadt-SPD hat unter Führung von Landeschefin Franziska Giffey einen entsprechenden Kurs dem Vernehmen nach bereits abgestimmt, will aber eine Beschleunigung des Impftempos abwarten.
In Koalitionskreisen wird nicht damit gerechnet, dass Pops Vorstoß bei der Senatssitzung am heutigen Donnerstag abgestimmt wird. Aus dem Senat hieß es aber, dass es die Erwartung gebe, dass die Gesundheitsverwaltung in der kommenden Woche erste Vorschläge präsentiert – etwa zur Lockerung der Reise- und Quarantäneregeln. Für alles andere müsse man den weiteren Impffortschritt abwarten.
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Ähnlich sieht das Thomas Lengfelder, Hauptgeschäftsführer der Dehoga in Berlin. „Erst müssen wir impfen, impfen, impfen, dann können wir über Erleichterungen reden“, erklärte er. Wirtschafts- und Gesundheitsverwaltung sollten gemeinsam eine Öffnungsperspektive erarbeiten.
Erste Lockerungen gibt es bereits seit März in Berliner Alten- und Pflegeeinrichtungen, dort darf wieder gemeinsam gegessen, getanzt oder gesungen werden. Inzwischen sind dort alle Heimbewohner, die es wollten, zweimal geimpft. Deshalb fordert etwa die Caritas-Altenhilfe auch eine Aufhebung der Maskenpflicht innerhalb der Einrichtungen.
Die bayerische Landesregierung hat am Mittwoch bereits beschlossen, dass das Landesgesundheitsministerium mögliche Lockerungen für Geimpfte ausarbeiten soll – etwa Erleichterungen bei Tests. Wie weit das reichen wird, ist noch unklar.